Sturm


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Zeit der Abrechnung

Sturmgeheul mischt sich unter die Musik im Foyer des Lichthofes. Donnergrollen ist zu hören. Auf die blauen, schrägen Seitenwände sind Wasserwellen projiziert. Die wartenden Zuschauer sind mitten in einen "Sturm" geraten, den der über dem Unwetter auf der Theke thronende, zauberkräftige Ariel (Marcel Weinand) ausgelöst hat.

Maryn Stucken nutzt als Regisseurin jeden Winkel ihres Theaters in Bahrenfeld. Intelligent wird der Theaterraum mit einem umlaufenden Laufsteg und einem in der Mitte der Zuschauerstühle stehenden, langen Tisch bespielt. Alle Personen, die auf mysteriöse Weise von der Herrscherin Prospero (im Gegensatz zum Original von Shakespeare eine Frau: Linde Lange) und ihrem Helfer Ariel zum Einschlafen, zum Erwachen, zum Erscheinen und zum Verschwinden gebracht werden, sind so jederzeit zugegen. Alle sind einander auf der einsamen Insel ausgeliefert, auf der sie Prosperos Wille der Rache zusammengetrieben hat. Einst hatte ihr Bruder sie um ihre Rechte als Regentin von Mailand betrogen und mit ihrer kleinen Tochter Miranda auf dieser Insel ausgesetzt. Jetzt endlich hat sie mit dem Zaubergeist Ariel die Möglichkeit bekommen, ihrer Familie den Prozess zu machen.

Doch der publikumswirksame Shakespeare hat in seinem "Sturm" die Romantik nicht vergessen: Der hübsche Königssohn Ferdinand wurde ebenfalls mit auf die Insel gespült und lässt Mirandas Herz in Liebe entflammen. Zum Glück ist auch sie zu einem reizenden Geschöpf geworden, für das er sie ebenfalls erwärmen kann. Neben einem hervorragend besetzten, starken Ensemble ist die Darstellerin der Miranda Maxi Schmitz die ganz besondere Entdeckung des Abends. Wie sie mit allen Fasern ihres Körpers bis in die Finger- und Zehenspitzen ihrer Unschuld, Neugierde, Zuneigung und Freude Ausdruck verleihen kann, ist beeindruckend.

Bei der weiblichen Prospero korrespondieren die Machtgelüste der Herrscherin mit einer starken Durchsetzungskraft, die ihr ein Überleben mit ihrer Tochter auf der verlassenen Insel überhaupt erst ermöglicht hat. Neben ihrer in Wut und Rache kompensierter Verletztheit zeigt Linde Lange auch die liebevolle, zärtliche Mutter. Jetzt im Alter hat sie die Macht zur Abrechnung, aber auch die Weisheit zur Milde und zum Verzeihen gefunden. Prospero erkennt am Schluss: "Wir Menschen sind doch alle nur aus dem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind." Ihr ist klar geworden, dass alle sich zwar unheimlich wichtig nehmen, aber letztendlich nur ein Hauch im Weltgeschehen sind.

Ebenso detailgenau wird die Komplexität der Figur Ariel von Marcel Weinand gezeichnet. Der in die Dienerposition Gezwungene ringt um seine Würde, wohlwissend dass seine Chefin ohne ihn unfähig wäre ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit genüge zu tun.

Maryn Stucken ist das Kunststück gelungen trotz der beschränkten Mitteln eines kleinen Privattheaters eine große, vielschichtige Inszenierung zu kreieren.

Birgit Schmalmack vom 12.4.05