German Roots


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In deutscher brauner Erde graben

Ein Zuschauerin meinte beim Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung von "German Roots" im Thalia in der Gaußstraße leicht ironisch zu Regisseur Nicolas Stemann: Meiner Ansicht nach illustriert dieses Stück bestens die Generation der heute Dreißigjährigen, die alles nur relativierend gleichgültig betrachtet. Doch Stemann wollte vermutlich mehr als nur zu relativieren.

In vielen anderen Ländern gibt es schon "Roots"-Projekte. Die eigene Familienerforschung soll zu ganz persönlichen Erkenntnissen der Landesgeschichte verhelfen. In Deutschland birgt dieses Ansinnen jedoch vorhersehbare Konflikte in sich. Nicolas Stemann stellte sich mit seinem Theaterprojekt den zu erwartenden Schwierigkeiten. Vor der Sommerpause stellte er seine Ahnenforschung anlässlich der Ruhrfestspiele und jetzt in Hamburg vor

Anhand einer besonders pointierten Familienkonstellation gräbt er tief im erdigen, braunen Untergrund der deutschen Vergangenheit. Das Ehepaar Gudrun Ensslin (Myriam Schröder) und Bernward Vesper (Sebastian Blomberg) und dessen Eltern Will Vesper (Christoph Bantzer) und Ehefrau (Angelika Thomas) stellen exemplarisch mit ihrem Zusammentreffen von überzeugten Nationalsozialisten mit ebensolchen RAF-Mitgliedern eine ertragreiche Grundlage für eine Familientherapie. Die nächste Generation mit Sohn Daniel (Philipp Hochmair) liefert zu den wohlbekannten, vieldiskutierten Idealen seiner Vorfahren nur eine Beliebigkeit, ein Desinteresse, ein Sowohl-als-Auch. Stemann treibt diese Leere auf die Spitze, indem er alle drei Generationen mit einem abgewandelten Entnazifizierungsfragebogen konfrontiert. Zuerst kann Daniel auf die Frage nach Parteizugehörigkeit noch mit stolzgeschwellten Brust sein "Nein" antworten. Doch bei der Verneinung zu den Fragen nach Idealen, Glauben, Einsatz und Liebe wird es immer kleinlauter. Diese Generation hat aus den Erfahrungen der vorherigen nur die eine Antwort gezogen: Es gibt keine Wahrheit außer der, dass es keine gibt.

Stemann legt mit dem Nebeneinander von Nazi- und 68er-Vergangenheit eine heikle Gleichsetzung nahe. Seine These, dass die folgende Generation die vorherige immer in Frage stellen wird, macht sich die Aussöhnung mit den deutschen Wurzeln etwas zu einfach. Diesen Gedankengang treibt er noch weiter, als der zukünftige Nachfahre von Daniel ihn via Bildschirm fragt, warum er denn nichts für technische Weiterentwicklung in Deutschland getan habe. Relativierung betreibt Stemann, ganz ein Kind seiner Zeit, mit seinem Projekt. Und das könnte viel eher der Vorwurf der nächsten Generation an ihn sein als der des mangelnden Einsatzes für den Fortschritt in der Gentechnologie.

Birgit Schmalmack vom 6.9.04