Leben bis Männer


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Fußball ist das ganze Leben

Dieser Fußballtrainer aus der schönen sächsischen Börde ist ein ganzer Mann. Und als solcher ist ihm Fußball natürlich wichtiger als seine Familie. Die Politik, die Geschichte, die Weltwirtschaftslage - alles kann er sich mit Hilfe dieses wunderbaren Sports, der eigentlich eine Weltanschauung ist, erklären. Dass seine Frau dafür auf Dauer kein Verständnis aufbringen kann, schmerzt ihn erst, als sie ihm durch die Scheidung auch seinen Sohn aus seiner Fußball-Mannschaft entzieht. Das Besuchsrecht am Sonntag kann er verständlicher Weise leider nicht wahrnehmen; das ist der Tag der Spiele. Als er auch noch seinen Job verliert, muss dieser Caesar der Seitenlinie feststellen, dass sein Leben wirklich nur noch aus Fußball besteht. Nun fühlt er sich eher wie ein entsorgter Ball ohne Luft. Wird ein Arbeitnehmer stets am Rollen und Laufen gehalten, bekommt ein Arbeitsloser meist doch nur die Tritte der Anderen zu spüren.

Ausländer- und Frauenfeindlichkeit sind diesem Ausbund an Toleranz naturgemäß fremd. Für ihn seien alle Ausländer gleich. Ist das etwa nicht eine höchst moderne Einstellung? Und Frauen als Richterinnen machten doch nur ihre eigene Unzulänglichkeit und Unwissenheit öffentlich. Wie sollte auch eine Frau z.B. in einem Mauerschützenprozess über einen armen Grenzsoldaten entscheiden können, da sie doch nicht einmal das Wort "Vergatterung" kenne?

Was Dietmar Mues in der Verkörperung dieses naiven Fußball-Philosophen, den Thomas Brussig erfunden hat, alles "so am Rande" im Laufe von 90 Minuten zum Besten gibt, ist anrührend entlarvend und höchst amüsant zugleich. Mues gibt dem wortgewandten Ossi die nötige augenzwinkernde Ironie, die sein Selbstbewusstsein immer wieder in eine kurze Verzweiflung kippen lässt. Er bringt es fertig, seine Figur ganz ernst zu nehmen und sie doch immer wieder mit einem Augenaufschlag oder feinen Unterton zu kommentieren. Es ist ein Genuss ihm dabei von der Zuschauertribüne aus zuzusehen. Kluger Weise hat sich die dezente Regie von Franz-Lorenz Engel darauf beschränkt, ihm einen großen Freiraum auf dem grünen Rasenplatz und der simplen Fußballtrainerbank zur Herausarbeitung der psychologischen Feinheiten dieses vielschichtigen Charakters zur Verfügung zu stellen.

Birgit Schmalmack vom 19.10.02