Käthchen von Heilbronn


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Der Beistand des Himmels

Käthchen und der Graf vom Strahl küssen sich innig. "Schon schön, nicht wahr", kommentiert süffisant sein Adjudant, der sich ins Bild drängt, zum Publikum. "Aber leider falsch!", muss er gleich darauf enttäuschen. Noch ist die Zeit des Happy Endes für das "Käthchen von Heilbronn" nicht gekommen. Erst müssen die Beiden noch etliche Hürden nehmen, die Heinrich von Kleist für sie vorgesehen hat. Und wenn sie mit so viel Ironie zur Ritter-Herz-Schmerz-Geschichte vorgetragen werden wie in der Inszenierung von Nicolas Stemann vom Deutschen Theater Berlin, sieht man auch beim Gastspiel im Thalia Theater gerne bis zum Ende zu. Ganze Akte werden als handgestrichelte Schnelldurchläufe im Hörspielcharakter von einem der Darsteller skizziert. So kann der Regisseur sich auf die wesentlichen Aspekte konzentrieren.

Lohnt sich heute noch der unbedingte Glaube? Hat Käthchens selbst- und bedingungslose Liebe einen Sinn? Oder honoriert das Leben eher die berechnende Schönheit einer Kunigunde, die neben den zarten Gefühle auch handfeste, machtpolitische Ziele bei der anvisierten Verbindung zu dem Grafen im Auge hat.

Stemann beweist Ideenvielfalt. Als Kunigunde in strategischer Absicht das brave Käthchen mit einem Auftrag in das von den Flammen erfasste Grafenhaus schickt, saust es zwar ins Digital-Feuer los, doch nicht ohne vorher die Engel des Himmels um ihren Beistand zu bitten. Sie kommen ihrer Bitte nach und im Thalia-Theater breitet sich langsam die Musik des Chorals "Er hat seinen Engeln befohlen, dich auf allen Wegen zu behüten" aus. Dazu hatte Stemann einen Kirchenchor mitten zwischen die Zuschauer gesetzt und so einen beeindruckenden Effekt erzielt.

Die Drehbühne nutzen die Darsteller dazu, das Geschehen in die gewünschte Richtung weiterzudrehen. So schiebt das Käthchen die Geschehnisse mit vollem Körpereinsatz auf das erträumte Liebesglück mit dem Grafen zu. Und ihr Vater versucht ebenfalls mit ganzer Körperkraft dieses zu verhindern und dreht in die andere Richtung. Vor- oder rückwärtslaufende Musik deutet den Erfolg oder Misserfolg ihres Einsatzes an.

Am Schluss hat sich die bedinglose Hingabe des jungen Mädchens doch rentiert: Der Graf erkennt die Ehrlichkeit dieses Geschöpfes, das sich so wohltuend von seiner Umgebung abhebt, und kann ihre Liebe endlich schätzen und erwidern. Käthchen kann es kaum fassen und blickt ihren Traummann strahlend, aber noch etwas ungläubig an. Ihr so heiß ersehnter Wunsch soll in Erfüllung gehen. Dieser heikle Moment, in dem sich ihr Traum bewähren muss, erfüllt sie nicht nur mit Freude sondern macht ihr auch Angst. So bittet sie ihre rettenden Engel für die Feuerprobe in der Realität noch einmal um ihren Schutz. Sie ahnt wohl, dass sie ihren Beistand noch nötig haben wird.

Stemann gelingt es auf wundersame Weise den heillos unmodern gewordenen Stoff in die heutige Zeit der Abgeklärtheit, der Beliebigkeit und der Austauschbarkeit hinüberzuretten ohne die Figuren zu demontieren. Und die Hauptdarsteller Inka Friedrich und Frank Seppeler schaffen es, das Käthchen und den Grafen trotz der ironischen, humorvollen Kommentare der übrigen Figuren, die das Stück geschickt um seine bedeutungsvolle Schwere und seinen überbordenden Kitsch erleichtern, als leidende und liebende Menschen ganz ernst zu nehmen.

Birgit Schmalmack vom 25.10.04

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