Der Menschenfeind


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Ein freundlicher Menschenfeind

Jubelnden Applaus konnte das Team um Jan Bosse für ihre Arbeit "Der Menschenfeind" entgegen nehmen. Wie schon bei "Clavigo" schaffte er es einen Bühnenklassiker aus einem höchst aktuellen, humorvollen und spannenden Blickwinkel zu zeigen, für den der Übersetzer Botho Strauß eine interessante, schöne Sprache ohne gewollte Anbiederungen an die Moderne gefunden hat. Bosse nimmt die Figuren nicht bloß als Vertreter von Klischees, sondern untersucht ihre persönlichen Beweggründen in sorgsamer, psychologischer Kleinarbeit.

Auf einer schrägen Insel (Bühne: Stéphane Laimé) sind die sieben Akteure zum Stehkonvent versammelt. Nur die umschwärmte Diva Célimène(Christiane von Poelnitz) darf sich auf einem absenkbaren Diwan räkeln und ihre Verehrer um sich sammeln. Einer von ihnen ist der menschenverachtende Alceste (Edgar Selge), der sich gerne das Banner der Aufrichtigkeit umhängt. Bei Bosse wird er zu einem freundlichen Menschenfeind. Er versucht stets zu lächeln, auch wenn er gerade seine ehrlich gemeinte Kritik abfeuert. Er ist ein sympathischer kritischer Kopf, der sich nur manchmal in seine eigener Argumentation verrennt, weil er nicht nachgeben mag. Er ist ein Protestler in der Gemeinschaft der Speichellecker. Doch will er wahrhaftig alleine leben? Wen könnte er dann aufs Korn nehmen?

Er wünscht sich immer wieder in seine eigene menschenleere Wüste. Doch ein Grund hält ihn zurück: Er möchte ausgerechnet die tratsch- und gefallsüchtige Célimène als Auserwählte  in seine Einöde mitnehmen. Er hat sich vorgenommen fest an ihre Entwicklungschancen glauben und sie von der Oberflächlichkeit erretten. Trotz spektakulärer Enthüllungen ihrer Vielmännereien hält er bis zum Schluss an ihr fest. Ihr entgültiger Korb macht sie beide zu einsamen Außenseitern.

Edgar Selge ist eine hervorragende Besetzung des Alcestes. Er überzeugt in der Rolle des intellektuellen Spötters voll und ganz. Übertroffen wird er zeitweise noch von Christiane von Poelnitz. Sie brilliert in der Schlussszene, als sie merkt, dass sie mit ihren Gesellschaftsspielchen übertrieben hat, nun ausgezählt wird und gleichzeitig unfähig ist sich als Konsequenz mit Alceste in die gesellschaftliche Wüste zu begeben. Ihre innere Zerrissenheit und Unfähigkeit sich den Gegebenheiten entsprechend zu verändern zeigt sie so beeindruckend, dass sie selbst ohne Wortanteil ihre Mitspieler an den Rand zu drängen vermag.

Die leere Bühne wird im Laufe des Abends zu einem Stillleben der Dekorationen. Plastikblumen, Plastikbuffetteile und ein Gitternetz aus Perlen machen die tatsächliche Inhaltslosigkeit des schönen Käfigs immer deutlicher. Je mehr die Schauspieler an Kleidung ablegen und ihre innere Leere entblößen, desto umfangreicher wird die äußere Kulisse, die sie um- und einschließt .

Die musikalische Untermalung von Hans-Jörg Brandenburg mit einem Live-Orchester in den Logen schafft eine in trügerischer Sicherheit wiegende Grundstimmung, die durch plötzliche Dissonanzen immer wieder für kurze Zeit gestört wird.

Eine grandioser Spielzeitauftakt im Schauspielhaus, der die Vorfreude auf weiteres steigert.

Birgit Schmalmack vom 21.9.02