Blackbird


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Spannend bis zum Schluss

Fünfzehn Jahre danach begegnet die junge Frau dem Mann wieder, zu dem sie einst eine Beziehung hatte. Doch es war eine unter ungleichen Vorzeichen: Damals war sie zwölf und er vierzig. Ein Nachbar, den ihre Eltern zu einem Grillfest eingeladen hatten und der fand, dass das kleine Mädchen unglücklich wirke. Sie schrieb ihm danach kleine Briefchen, lauerte ihm auf, suchte seine Nähe. Er wehrte sie nicht ab, sondern freute sich über jede Begegnung mit ihr. Erste Verabredungen im Park folgten, schließlich eine gemeinsame Wochenendfahrt mit Sex in einem Pensionszimmer. Danach brauchte er Zeit zum Nachdenken und ließ sie im Zimmer alleine. Sie ging ihn suchen. Als er zurückkam, war sie nicht mehr da. Das Mädchen wurde von der Polizei zu ihren Eltern zurück gebracht und der Mann zur Fandung ausgeschrieben. Er stellte sich schließlich der Polizei und wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung nahm er einen neuen Namen an und baute sich mühsam ein neues Leben auf. Eine nette Partnerin und ein akzeptabler Job ließen ihn das Vergangene allmählich vergessen.

Doch nun steht sie wieder vor ihm in der Kantine seiner Firma. Sie beansprucht einen Platz seinem neuen Leben: das kleine Mädchen von früher, das mittlerweile eine Frau geworden ist. Was will sie von ihm? Rache? Wiedergutmachung? Aufarbeitung? Oder gar eine Fortsetzung der Beziehung?

Der Autor David Harrowers hat sich für sein Stück "Blackbird" ein heikles Thema ausgesucht: sexueller Missbrauch eines Kindes. Von vornherein scheinen die Auffassungen, wer der Sympathieträger in diesem Zweipersonenstück sein wird, klar. Doch Harrowers umgeht geschickt voreilige Antworten auf Fragen, die sich in dieser Konstellation stellen. "Du hast mich angemacht", behauptet Peter. "Ich war ein zwölfjähriges Kind", stellt Una dagegen. Zuschreibungen der Gesellschaft belasten sowohl das Mädchen wie auch den erwachsenen Mann. "Ich sollte für das Geschehene gedemütigt werden", ist Una überzeugt.. "Mir wollten sie weiß machen, ich sei krankhaft pädophil", erinnert er sich.

Doch sie litt mehr unter der Vorstellung, er könnte sie verlassen haben, nachdem er in der Pension das bekommen hatte, was er wollte. Ein Aussprache verhinderten die Therapeuten einerseits und die Gefängnisleitung andererseits.

Wunderbar vielschichtig entwickelt Harrrowers sein Stück. Beide erzählen ihre Sichtweise des Erlebten, doch jeweils beeinflusst durch ihre Art der Verarbeitung, die inzwischen gemachten Erfahrungen und gelenkt durch die Meinung der Außenwelt.

Das Stück stellt eine Menge Fragen. Es wagt sogar die eine zu stellen: Kann es Liebe gewesen sein, was die beiden für eine Zeit aneinander band? Trotzdem macht es unmissverständlich klar, dass es sich unabhängig von der Beantwortung dieser Frage dennoch um Missbrauch handelt.

Regisseur Ralph Bridle inszeniert das hoch interessante Stück auf der klaren, schlicht und hell gestalteten Bühne (Stefan Mannteuffel) mit sensibler Hand. Er lotet den Text mit all seinen Facetten aus. Dass ihm das gelingt, liegt in erster Linie an seinen beiden Darstellern. Meret Becker und Markus Boysen brillieren in der feinfühligen Darstellung der beiden Charaktere. Becker zeigt das verletzte schutzbedürftige Kind ebenso wie die selbstbewusste Frau, die ihr Recht auf Aufklärung und Liebe einklagt. Boysen schafft es die Vielschichtigkeit von Peter deutlich zu machen: den ruppigen Macho, der um seinen Schutzpanzer fürchtet, so wie den sensiblen Liebhaber, der wie Una einen Moment lang an die Fortsetzung ihrer früheren Beziehung glauben können möchte. Eine tolle Aufführung zu einem spannenden Thema.

Birgit Schmalmack vom 20.4.08