Deine Wahrheit - meine Wahrheit

Die Bühne (Detlef Pilz) ist rein weiß und völlig leer und klar. So scheint es jedenfalls - doch dann tauchen immer wieder Personen und Einrichtungsgegenstände wie aus dem Nichts auf und verschwinden wenig später wieder auf der Drehbühne hinter dem weißen Streifenvorhang auf der rechten Bühnenseite. Genauso werden in "Herbstsonate" am Ernst-Deutsch-Theater die verschiedenen Wirklichkeiten der Personen, oder was sie dafür halten, gezeigt und verschwinden wieder in der Verunsicherung durch ihre Mitspieler.

Im Mittelpunkt steht die unterschiedliche Sichtweise des Mutter/Tochter-Konfliktes zwischen der Pianistin Charlotte (Judy Winter) und ihrer Tochter Eva(Emanuela von Frankenberg). Doch auch deren Beziehung zu ihrem zwanzig Jahre älteren Ehemann (Jochen Regellen) wird der Betrachtung unterzogen. Dieser umgibt sie mit allem Verständnis und großer Liebe, aber kann sie nie wirklich erreichen. Und zuletzt die nicht existente Beziehung von Charlotte zu ihrer behinderten Tochter Lena (beeindruckend gespielt von Imke Trommler), die Eva bei sich aufgenommen hat. In langen behutsamen Einstellungen werden diese Beziehungen und die Vorstellungen von ihnen sorgsam beleuchtet. Jede der Beteiligten hat ausführlich Gelegenheit in zum Teil längeren Monologen seine Sichtweise auszubreiten. Die Fähigkeit zum Gespräch ist bei den allzu sehr Betroffenen nur wenig ausgebildet. Daher stellen sie ihre Wirklichkeiten meist nur gegeneinander, ohne dabei Schritte aufeinander zugehen zu können. Zu sehr sind sie in ihrer Welt gefangen. So bleibt die Tochter ganz ihrer Verletzungen in ihrer Kindheit durch die stets abwesende und doch dominante erfolgreiche Mutter verhaftet. Die Mutter dagegen mag sich der Emotionalität ihrer Töchter nicht stellen und wendet sich lieber wieder schnell ihren gewohnten Erfolgen im Beruf und bei den Männern zu. Der Ehemann scheitert mit seinen rührenden Versuchen seiner Frau aus ihren Gefängnis heraus zu helfen und muss lernen, ihren grauen Stimmungsschleier zu akzeptieren.

Auch wenn der Text nach dem Film von Ingmar Bergmann nicht ganz frei von leicht pathetischen und melo-dramatischen Formulierungen ist und die Regie von Kay Neumann lange, stille, hochkonzentrierte Gesprächskonstellationen bevorzugt, kann der Abend durch die hervorragenden Schauspieler interessante Einblicke in die menschliche Psyche vermitteln.

Birgit Schmalmack vom 14.10.02