Lampedusa


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Möchte doch wissen, warum wir auf der Welt sind

Die Zeit des Erwachsenwerdens ist eine Zeit der Konflikte, der Auseinandersetzungen, des Infragestellens. Sie geht einher mit einem Verdrängungsprozess. Die ältere Generation muss ihre Plätze für die jüngere räumen. Die daraus resultierenden Konflikte hat Franz Wedekind in seinem Stück "Frühlings Erwachen" kulminieren lassen. Zu einer Zeit, in der die Sexualität tabuisiert wurde, hat das dramatische Auswirkungen auf Moritz (Parbet Chugh), Melchior und Wendla (Laura Lozito). Die Lust sich in die Zweige zu hängen, begleitet sie bei ihrem schwierigen Weg in die Welt der Erwachsenen.

Regisseur Nils Daniel Finckh strich die Personenliste auf drei Hauptpersonen exemplarisch zusammen und gesellt ihnen nur noch Ilse (Henrike Jörissen), Hänschen (Niklas Bardeli) und die Eltern und den Rektor bei. Diese werden per riesengroßer Videoprojektion einspielt. Als Über-Ich versuchen sie den Lebensweg der Jungen zu beeinflussen. Eine Spielfläche aus Korkbröseln ist zwischen den zwei aufsteigenden Zuschauerrängen im Malersaal aufgeschüttet. Ein Gitterbett und zwei Zinkwannen sind die einzigen Ausstattungsgegenstände. So kommen die jungen Schauspieler, die allesamt noch zur Schule gehen und keine Schauspielausbildung haben, bestens zur Geltung. Sie sind die Experten für das Thema Jugendzeit. Finckh konnte sich leisten seine Inszenierung auf ihre Talente zu setzen.

Der Untergrund erweist sich als tragender Einfall. Wie junge Fohlen trippeln die Mädchen über den Korkboden. Unsicher am Abgrund ihres noch unklaren Lebensweges bewegen sich die Jugendlichen auf dem weichen Boden. Hohe Schuhe führen unweigerlich zu einem Wackelkurs. Emotionalität lässt sich hier leichter ausleben. Wie in einer großen Sandkiste darf man sich balgen, mit Erde bewerfen, mit Matsch beschmieren und sich einfach fallen lassen.

"Ich passe nicht hinein", erkennt der südländisch aussehende Moritz. Als er als Säugling auf die Welt kam, waren die anderen schon alle da. Dieses Gefühl begleitet ihn sein Leben lang. Finckh baut einen dezenten Hinweis auf die Migrantenjugendlichen mit ein, die in Deutschland ihren Platz finden müssen. Parbet Chugh beeindruckt als Moritz: Die Verzweiflung über seinen mangelnden Schulerfolg, seine Abhängigkeit von dem autoritären Lehrkörper, seine Begierde auf die Erkundung des anderen Geschlechtes - alles erkennt an seinem ausdrucksstarken Mimen- und Körperspiel. Wendla ist einmalig in der Darstellung ihrer kindlichen Unschuld, Neugierde und Spielfreude. "Möchte doch wissen, warum wir auf der Welt sind." Das ist der erste Satz von Melchior. Andreas Tobias ist der coole, provozierend-rauchende, aufbegehrende Philosoph, der Wendla verführt, Moritz aufklärt und schließlich selbst als unpassend von der Schule verwiesen wird.

Ein sensibel geführtes Schauspielertheater mit erwiesen kompetenten Darstellern, das nicht nur die jungen Zuschauer begeisterte.

Finkhs Inszenierung, die vor zwei Jahren im Malersaal Premiere feierte, wird jetzt in seiner neuen Theaterfabrik wieder gezeigt. Klugerweise wurde dafür die große Bühnenhalle auf Malersaalgröße abgeteilt und der weiche Bühnenspielboden wieder in die Mitte zwischen zwei Zuschauertribünen gesetzt. Eine wunderbare Inszenierung, die sogar einen zweiten Besuch lohnt!

Birgit Schmalmack vom 4.6.06