Liebe aus der sicheren Distanz

Virginia ist die zarte, sensible Künstlerin, die immer wieder unter Angstattacken und Migräneschüben leidet. Sie ist zurückhaltend und scheu, brilliert aber mit sprühendem Verstand. Vita ist ihr Gegenpol: Eine äußerst vitale, impulsive Frau, die vor lauter Lust an der Aktivität viel zu selten die Konzentration für ihre schriftstellerische Arbeit findet. Als die beiden Frauen sich begegnen, sind sie fasziniert von dem Anderen, das sie nicht haben. Virginia bewundert die Schönheit, Lebenslust und übersprudelnde Vitalität an Vita. Die wiederum blickt auf zu der geistigen Brillanz der Kollegin. Sie geben sich das, was sie in ihrem eigenen Sein vermissen.

Der Briefwechsel von Virginia Woolf und Vita Sackville-West ist die Grundlage für das Theaterstück "Vita und Virginia" von Eileen Atkins. Sie macht aus den ca. 500 Dokumenten zwei vor Spannung knisternde Frauenportraits, die Spiegel einer intensiven Freundschaft und Liebe sind. Gerade weil die beiden einander gegenüber stets eine Distanz wahren, können sie sich völlige Offenheit erlauben. Vita bekennt einmal: "Eine Beziehung zu dir ist wie Rauchen über dem offenen Feuer." Sie wusste stets, dass die zartbesaitete, depressive Virginia für eine ihrer zahlreichen Affären zu schade war. So liebte sie Virginia aus der sicheren Ferne. Gleichzeitig ist das Stück auch ein Spiegel ihrer Zeit. Als England von Hitler bombardiert wird, verliert Virginia den letzten Lebensmut: Sie nimmt sich das Leben.

Regisseur Torsten Fischer inszeniert das Zweipersonenstück mit großer Sensibilität für die beiden außergewöhnlichen Frauen. Er gibt ihnen auf der schwarz-weißen Bühne, in die eine zweite Ebene eingezogen ist (Herbert Schäfer), viel Raum zur Entfaltung. Die beiden Darstellerinnen wissen ihn spielend zu füllen. Barbara Nüsse und Nicole Heesters sind eine Traum-Besetzung für die beiden Rollen.

Birgit Schmalmack vom 20.1.06