Feridun Zaimoglu


Schanzenkenner

Am Rande des Schanzenviertels in den Fliegenden Bauten war Feridun Zaimoglu zu Gast und stellte sein neues Buch "Zwölf Gramm Glück" vor. Dazu hatte er einige Mitstreiter vom Theater Bremen für eine inszenierte Lesung in den mit Tischgruppen bestückten "Kunstraum" versammelt. In gemütlicher Runde, die das Publikum mit einschloss, nahmen sie auf zwei Sofas und einem Lehnstuhl Platz - letzterer für den Dichter. Eine Moderatorin im kleinen Blauen führte galant durch den Abend und annoncierte die jeweiligen Vorleser der Kurzgeschichten. Sie handelten z.B. von einen Schriftsteller, der für eine züchtige, glaubensstarke Cousine einen Liebesbrief an einen Galan verfassen soll, der ihn entbrennen und gleichzeitig zügeln soll oder von einem bodenständigen, passionierten Stofftiersammler, der von einem fremdwortaussondernden Psychoanalytiker in seine Bestandteile zerlegt wird.

Der einstige Münchner und jetzige Kieler Zaimoglu erweist sich aber auch als profunder Schanzenkenner: In der ersten Kurzgeschichte aus seinem neuen Band, die er selbst vortrug, lief der Abend zur Höchstform auf. Erst in seinem unnachahmlichen Tonfall, dem liebevollen Zynismus, der Andeutung von Erotik und der lebenshungriger bzw. schon -müder Atemlosigkeit gewinnen seine Sichtweisen auf das menschliche Leben ihre hintergründige Vielschichtigkeit. Seine Story, die ihn vom passiven Geschichtenaufsauger und distanzierten Beobachter zum über beide Ohren involvierten Akteur werden lässt, handelt von Revolte und Liebe. Wo könnte sie besser spielen als auf der Schanze? Ein Floristen-Sympathisant, Spätrevolutionär und jetzt Beinahe-Bürgerlicher hat inzwischen lieber die Straßenseite gewechselt und betrachtet mit einem Galao in der Hand die Rote Flora und die Junkies vor dem - mittlerweile schon nicht mehr existenten - Fixstern aus sicherer Entfernung. So beobachtet er, wie der in seiner Welt der Zwänge verhaftete Lumpenrastafari einen Platzverweis erhält und mit der brutalen Durchsetzung durch die Polizisten den nötigen Zündstoff für die Eskalation der Floristen liefert. Dieser Randaletourist hat sich jedoch zeitgleich in die schönen Augen einer Minifahrerin und Eisenstein-Kellnerin verguckt, nachdem sie ihn mit ihrem Mini in den matschigen Bordstein befördert hat. Heutzutage wird eben nicht mehr das Politische privat, sondern das Private wird wichtiger als der politische Einsatz.

Zaimoglu, das beweist der Abend, ist der bester Interpret seiner eigenen Geschichten. Selbst kitschig-schwülstige Liebeshymnen bekommen in seiner Intonation einen irritierenden, ironischen Unterton. Sein besonderes Styling mit dem abgezirkelten Millimeter-Bärtchen, den dunklen, langen Locken, den dicken Ringen und vielen Silberketten um Handgelenk und Hals kombiniert mit der sanften Stimme, die aber alle anderen Deutungsmöglichkeiten mit anklingen lässt, hält vorschnelle Interpretationen, die sich nur scheinbar in den Ich-Geschichten offenbaren, gekonnt in der Schwebe. Eine Künstlerpersönlichkeit, deren Talent nicht nur im Verfassen brillanter Texten, Erfinden von Wortneuschöpfungen, Auffangen und Beschreiben von Stimmungen sondern auch in der Selbstinszenierung und Präsentation seiner Werke liegt. Dazu benötigt er kaum Unterstützung, nimmt sie aber, wie an diesem Abend milde lächelnd hin.

Birgit Schmalmack vom 11.03.04