Maria Magdalena


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KN
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Eine Ordnung muss sein

Meister Anton ist ein ehrbarer Mann. Aus kleinen Verhältnissen hat er zum Tischlermeister hochgearbeitet und es zu Ansehen in seinem Heimatort gebracht. Der Gottesglaube liefert ihm seine fest gefügten Maßstäbe für gut und böse. Sein großer Kummer ist sein Sohn Karl, der so gar nicht nach ihm kommt. Er zeigt leider keinerlei Interesse für Kirchgang und strebsame Arbeit. Zum Glück hat Anton aber noch seine brave Tochter Klara. Sie erfüllt seine hohen Maßstäbe voll und ganz. Zumindest denkt er das. Sie selbst aber weiß schon, dass sie in seinen Augen schuldig geworden ist. Sie ist von ihrem Verlobten Leonhard schwanger geworden. Ihre einzige Hoffnung, jetzt schnell Ehefrau zu werden und damit die Schande zu verdecken, wird zunichte, als ihr Bruder Karl als Juwelendieb verhaftet wird. Mit so einer Familie will der karrierebewusste Kassierer Leonhard nichts zu tun haben. Er kündigt sein Verlöbnis kurzerhand auf. Klara sieht nur noch eine Lösung: ihren Freitod. Sie opfert sich für die Ehre ihres Vaters.

Hebbels Tragödie steuert bewusst auf die Katastrophe zu. Wer Moralbegriffe, die dem Menschen eigentlich die Orientierung erleichtern sollen, zum Dogma erklärt, verweigert ihnen genau diese Hilfestellung für ihr Leben. Anton glaubt selbst ohne Fehler zu sein und verursacht dennoch das Auseinanderbrechen seiner ganzen Familie. Anton bleibt allein zurück, nur mit seiner Gewissheit als einziger die Moral aufrechterhalten zu haben.

Jaqueline Kornmüller verzichtet in ihrer Inszenierung im Schauspielhaus auf jede Aktualisierung. Ungeachtet der Tatsache, dass Frauen heute keineswegs zur Schande verurteilt sind, wenn sie auf einen One-Night-Stand eingegangen sind, widmet sie sich ganz dem Hebbel-Text. Schauspielertheater findet hier auf einer hölzernen Ebene statt, die auf die ersten Stuhlreihen im Parkett verlegt worden und somit von Zuschauern umringt ist. So kann Klara den Bühnenhimmel des Schauspielhauses für ihre Zwiesprache mit Gott nutzen. Dreißig schmucklose Holzsärge sind die einzige Ausstattung des kargen Alltags der Tischlerfamilie.

An den Schauspielern lag es nicht, dass das Drama die Zuschauer von heute nicht mehr in seinem ganzen Ausmaß zu ergreifen vermochte. Monique Schwitters und Frank Zarpata glänzen in ihren Rollen als Anton und Klara, ebenso wie Irene Kugler als Mutter, Thiemo Strutzenberger als Karl, Peter Wolf als Leonhard und Gernot Grünewald als Sekretär. Diejenigen im Premierenpublikum, die sich an einer werktreuen Aufführung des Klassikers erfreuen konnten, zeigten dies mit lang anhaltendem Beifall. Diejenigen, die sich neue Gedanken zu den Themen Religion und Familie erhofft hatten, honorierten wohl eher die schauspielerischen Leistungen der Darsteller.

Birgit Schmalmack vom 14.1.07