Die Schwärmer


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Zweifeln als Lebensmaxime

Es gibt Menschen, die sich in dieser Welt zu Hause fühlen und andere, die sich träumend in immer wieder andere Gegenentwürfe wünschen. Regine, Thomas und Anselm in Musils Stück "Die Schwärmer" gehören eindeutig in die zweite Kategorie. Sie glauben daran, dass die wahren Ideen in Gedanken stattfinden und bei ihrer Umsetzung verschmutzt würden. Dreieinhalb Stunden sind sie in der Inszenierung von Krystian Lupa damit beschäftigt ihrem Unbehaustsein Ausdruck zu verleihen. Ob sie es wie Thomas (Dietmar König) als wortgewandter und vernunftbetonter Analytiker, wie Regine (Maren Eggert) als labiles, fragiles, zartes Fragezeichen oder wie Anselm (Thomas Schmauser) als wirrer, unsicherer, provozierender Träumer tun, entscheidet ihr Temperament, Geschlecht und ihre bisherige Entwicklung.

Der auf der Karriereleiter nach oben gefallene Doktor Thomas ist mit Maria (Silvia Schwarz) verheiratet. Gehörte sie früher zum harten Kern der "Schwärmer"-Clique, ist sie heute eingepasster in das Leben und bildet den gefühlvollen und pragmatischen Gegenpol zu ihrem Dauer-Zweifler-Gatten. Ihre Schwester Regine ist nach dem Selbstmord ihres ersten Ehemannes Johannes - auch einer der Schwärmer - und der Trennung von ihrem zweiten Mann Josef (Hartmut Schories) mit Anselm zu ihnen in ihr ehemaliges Elternhaus gekommen. Dieser sieht nun neue Möglichkeiten gekommen und macht Maria heftig den Hof, bis diese neugierig auf ihre vermeintlichen, verschütteten Wünsche geworden mit ihm ihren Mann Thomas verlässt. Dieser bleibt mit Regine in dem morschen Haus der Kindheit zurück.

Lupa schuf zu seiner eng an Musils Idee angelehnten Umsetzung ein passendes Bühnenbild. Er lässt die Figuren in einem arg renovierungsbedürftigen alten Landhaus agieren. Eine rostige alte Wendeltreppe, die zu einer offenen baustellengerechten Galerie führt lässt diese Räumlichkeiten einsehbar und übersichtlich scheinen. Doch verwirrend zeigen sie sich nach jedem Neuaufzug nach den Pausen. Da tauschen die Fenster, Türen, Möbel und Bilder ihre Plätze. Da verwandelt sich das prunkvolle Landschaftsgemälde fast unmerklich schleichend, so dass die Zweifel der Schwärmer an der einzig möglichen Wirklichkeit auch optisch unterstützt werden.

Die Interpretation der Rolle des Anselm durch Thomas Schmauser ist gewöhnungsbedürftig. Dieser gebückt auftretende, schlenkernde Wirrkopf soll zwei Frauen zum Ausbruch aus ihrem bisherigen Leben verführt haben? Doch gerade durch seine wabernde, nicht zu fassende Unsicherheit scheint er den suchenden Frauen eine Projektionsfläche für ihre Wünsche und Bedürfnisse bieten zu können. Dass er dabei aber fast lächerlich unbeholfen wirkt, ist dem Verständnis seiner das ganze Stück tragende Rolle eher abträglich. Etwas mehr bezwingende Ausstrahlung, die sowohl Frauen wie auch Männer zu faszinieren vermag, wäre nicht schlecht gewesen.

Der akademische Thomas dagegen, der seine Ansichten stets bestimmend und mit scheinbarer Sicherheit vorträgt, dreht seine Gefühle so sehr durch seine Vernunftsmühle, dass nichts mehr von ihnen an die Oberfläche dringt. So lässt er seine Frau als Durchführerin eines interessanten, menschlichen Experiment scheinbar ungerührt ziehen.

Zwei Personen symbolisieren die Ordnung, die vielleicht doch im Leben zu finden sein könnte: der alternde Josef und Regines Anstandsdame (Angelika Thomas) geben mit ihren klaren Äußerungen ("Eine Idee braucht für euch nur übertrieben zu sein, schon habt ihr dafür eine Schwäche.") dem Zuschauer einen verlässlichen Halt in den überschwänglichen geistigen Elaboraten der Übrigen. Sie versuchen durch immer wiederholtes Hochhalten der Moral und des Anstands Regeln in diesem lotterhaften Haus einkehren zu lassen. Natürlich vergeblich.

Lupa verlässt sich erst im letzten Teil nach der zweiten Pause voll auf den wortgewaltigen Text von Musil. Zuvor versucht er mit dem stimmungsvollen Hintergrund-Soundteppich von Jacek Ostaszewski eine bedrohliche, aufregende oder geheimnisvolle Atmosphäre zu erzeugen. Das führt aber eher dazu, dass man einige der inhaltsschweren Sprachkunstgebilde von Musil mehr erahnt als versteht. So geht manche Äußerung der intelligent auftretenden Wesen, die nicht ganz von dieser Welt scheinen, auf dem Weg von oben durch das aufgespannte Koordinaten-Metallnetz am Bühnenrand bis zum Publikum verloren. Doch was unten ankommt, reicht immer noch für einen sehr interessanten, stimmigen und trotz der Länge spannenden Theaterabend.

Birgit Schmalmack von 2812.01