Die Kameliendame


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Wechselbad der Gefühle

Oberflächlichkeit, Schein, Vergnügen - das ist das Motto der Gesellschaft, die laut lärmend und tosend über die schicke, weiße Bühne mit dem Glitzervorhang tobt. Eine szeniges Partyvolk, das sich mit Geld über die Leere seines Daseins hinwegtäuscht und sie mit Fun, Spaß und ständigen Events füllt. Dauerberieselung durch Musik und Alkohol soll den Pegel des Pseudo-Wohlbefindens nie absinken lassen. Mittendrin die zarte Kameliendame Maguerite (Chris Nietvelt), hinter dem Make-Up schon von ihrer Krankheit gezeichnet. Sie sucht die Ablenkung, die sie für Momente vergessen lässt, dass ihr sicheres Ende in wenigen Jahren kommen wird. Bis dahin versucht sie sich die Zeit so angenehm wie möglich vertreiben zu lassen. Für sie bedeutet das: Sich von reichen Männern, die sie mit ihrer stets gut gelaunten Schönheit unterhält, aushalten zu lassen. Die geschäftstüchtige Frau erkennt klar ihr Kapital und versucht es bis zum Ende auszuspielen. Durch echte Gefühle hat sie sich dabei bisher nie stören lassen. Wer mit der vorgeblichen Liebe sein Geld verdient, verzichtet besser auf die echte.

Doch dann begegnet sie Armand (Felix Kramer). Der junge Mann aus guter Familie entbrennt in Liebe zu der Lebedame und macht ihr in aller Unschuld den Hof. Sie wehrt sich nach Kräften. Dann erkennt sie ihre erste und einzige Chance auf ein Stück echtes Leben und steigt zusammen mit ihm aus. Sie verabschiedet sich vom Partyvolk und zieht mit ihm aufs Land. Jetzt interveniert Armands Vater (Michael Prelle). Er appelliert an das Gewissen und die Liebe der Frau und bedrängt sie seinen Sohn freizulassen, damit der Ruf der Familie, von Armands Schwester und sein eigener keinen dauerhaften Schaden nehme. Sie willigt schweren Herzens ein und verlässt ihren Geliebten. Erst als sie im Sterben liegt, erkennt Armand und sein Vater, dass sie die Frau verkannt haben.

Ivo van Hove hat seine Inszenierung mit starken Kontrasten versehen. Er wagt eine Gratwanderung zwischen triefenden Herz/Schmerzszenen einer Soapopera, grellend, lauten Partyorgien mit wüsten Geschmacklosigkeiten, psychologisch fein beobachteten Seelenstudien und einer ersten zarten Begegnung der Liebenden an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Er verlangt dem Zuschauer viel Einlassungsbereitschaft ab. Hat er ihn gerade mit schrillen Effekten verschreckt, so will er ihn im nächsten Augenblick in wahrhaftige Emotionen eintauchen lassen. Das Bühnenbild mit seinem weißen hohen Raum unterstützt dieses Wechselbad der Gefühle geschickt durch kleine Veränderungen und immer neue Lichtführung. Doch schleicht sich ein kleiner Zweifel ein: Sucht Hove hier wirklich Emotion pur oder doch nur eine ironische Distanz zu diesen überbordenden Beschwörungen der einzigen und immerwährenden Liebe?

Birgit Schmalmack vom 25.3.08