Alles nur eine Übung

Der Belgier Robert hatte einmal einen deutschen Chef, der in seiner Firma stets mit dem Satz "Ist doch alles nur eine Übung!" gekippte Stimmungen zu retten versuchte. Wenn die kleine Partygesellschaft um Robert, seine Frau Rolanda und dem befreundeten Paar Ivo und Ria nebst Dichterfreund Olivier und dem russischen Privatgeiger György nach einigem Alkoholgenuss in immer derbere Scherze und Missgriffe auf die jeweils andere Dame abgleitet, muss dieser zitierte Ausspruch ein schwacher Trost bleiben. Zu sehr sind die Abgründe hinter dem prestigeträchtigen High-Class-Outfit schon offensichtlich geworden, zu sehr haben alle ihre Leere, Einsamkeit und verzweifelten Gemeinheiten hinter der Fassade ihrer vermeintlichen Wohlanständigkeit offenbart.

Beim morgendlichen Frühstück nach den denkwürdigen Ausrutschern, die bei der männlichen Prügelei ihren Höhepunkt fanden, herrscht betretenes Schweigen. Nur Ria versucht den Schein einer heiteren Grundstimmung weiterhin aufrecht zu erhalten, während alle anderen ihren Energieaufwand nur müde belächeln können.

Der belgische Theatermacher Josse de Pauw nahm diese - gerade in diesen Tagen - nicht ungewöhnliche Sozial-Studie als Grundlage für eine "Übung". Er drehte darüber mit professionellen, erwachsenen Schauspieler in einem hochherrschaftlichen, idyllischen Haus einen Schwarz/Weißfilm, den er ohne Ton hinter einen leeren Bühne abspielen lässt. Auf dieser sitzen sechs Kinder im Alter von zehn bis vierzehn Jahren, die angekleidet wie die Erwachsenen die Großen synchronisieren und entsprechende Gesten und Bewegungen machen.

Diese eigentlich simple Anordnung erschafft erstaunlich Interessantes: Die Kinder (Jasper Sturtewagen, Louise Carpentier, Basiel Bogaerts, Romy Bolion, Dimitri Dauwens, Stefaan De Rijcke) ahmen die Erwachsenen so brilliant nach, dass durch die Distanz zu den großen Filmgestalten und zwischen den jugendlichen Sprechern eine bedrückende Interpretation entsteht, die das destruktive Tun der angeblich Vernünftigen entlarven. Die Kinder schaffen es so spielend sich in ihre vermeintlichen Vorbilder hineinzuversetzen, indem sie die Lippenbewegungen möglichst exakt nachmachen, dass sie eine wesentlich größere Beklemmung angesichts der Unsinnigkeit des erwachsenen Tuns erzeugen, als es die Filmhandlung alleine gekonnt hätte. Eine wage Hoffnung bleibt, dass sie diese Übung dazu nutzen, diese nachgespielten Fehler in ihrem Erwachsensein zu umgehen. Vielleicht zeigen sie aber auch durch ihre leichtgängige Adaption, dass das Vorleben ihrer Elterngeneration schon allzu prägende Auswirkungen gehabt hat und führen ihre eigene, anscheinend unvermeidliche Zukunft vor Augen.

Birgit Schmalmack vom 21.12.02