Verletzungen

Niemand kann dich so verletzen wie jemand, den du liebst. Fay ist vom ihrem über alles geliebten Ehemann so im Innersten getroffen worden, dass sie zum Küchenmesser gegriffen hat und ihn ermordet hat. Seitdem sitzt sie im Frauengefängnis ein. Seit 15 Jahren hat sie ihre damals zehnjährige Tochter Josie nicht gesehen. Nach einer Scheidung und Tod der Großmutter, die Josie groß zog, will sie endlich den fehlenden Erinnerungen ihrer Kindheit nachspüren. So kommt es zur Begegnung zwischen der inzwischen 25jährigen, erfolgreichen Karrierefrau im schicken schwarzen Businessanzug und der zu lebenslänglich Verurteilten Zuchthäuslerin im grauen Jogginganzug. Zwischen der Mutter, die aus Liebe zur Mörderin wurde, und ihrer Tochter, der sie dadurch den Vater raubte. Das

Monica Bleibtreu lässt im Psychodrama der schottischen Autorin Rona Munro tief in die Seele der verletzten, gebrochenen, verzweifelt Liebenden blicken, die ihre Wut in eine Tat münden ließ, die ihr das Liebste nahm. Seitdem ist sie mit ihrer Trauer, Einsamkeit und ihrem Gewissen eingesperrt. Sich für ihre Tochter diesen Gefühlen wieder zu öffnen, bedeutet für sie eine lebensbedrohliche Konfrontation mit dem Verdrängten und Unerträglichen. Doch sie hat der Tochter schon zuviel genommen, als dass sie sich diesem Wunsch verweigern dürfte. Im Gegenzug erhofft sie sich ein Stückchen Lebendigkeit, Entwicklung, Freude und Teilhabe an der Welt draußen zu bekommen.

Unter der einfühlsamen, genauen Regie von Ulrike Maack werden in zweieinhalb Stunden hochspannender Zweiergespräche die Sehnsüchte, Enttäuschung, Hoffnungen, Verletzungen und Bindungen der beiden Frauen ausgelotet. Monica Bleibtreu glänzt als temperamentvolle, intelligente Frau, die sich ihren Lebenserfahrungen verantwortungsvoll stellt. Ihre beeindruckende Bühnenpräsenz mit ihrem vielsagenden Körper- und Mimenspiel ist überwältigend. Louisa Stroux ist ihr eine adäquate Partnerin. Das ist brillantes, hochkonzentriertes, spannendes und differenziertes Konversationstheater, das an die besten Kammerspiel-Zeiten anknüpft.

Birgit Schmalmack vom 16.11.04