Hedda Gabler


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Die unerträgliche Lächerlichkeit des Seins

- vor ihr hat Hedda Gabler (Wiebke Puls) panische Angst. Als Gegenmittel gegen ihre Leere benutzt sie die Anhäufung von Macht. Manipulation der Anderen soll ihre eigene Lebensuntüchtigkeit und Feigheit verdecken. Das ist umso tragischer als ihr verehrter Vater General Gabler war, in dessen Erziehung Haltung und Mut oberstes Gebot waren. So sucht sie sich in Tesmann (Bernd Moss) ein besonders schwächliches Exemplar unter den Männern als Ehemann aus, das aber zum Glück mit seiner unspektakulären, wissenschaftlichen Arbeit Karriere zu machen scheint. Zusätzlich lässt sie sich gerne von weiteren Männern bewundern. Den Staatssekretär Brack (Clemens Schick) und ihren ehemaligen Freund Lövborg (Joachim Meyerhoff) hält sie an der Leine ihrer möglichen Zuwendungen. Letzterer ist nach langer Arbeitsphase im einsamen Haus der Elvsteds in die Stadt gekommen ist, um mit einer Veröffentlichung Tesmann Konkurrenz zu machen. Seine brave Protokollantin Thea Elvsted (Caroline Peters), die in Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit Lövborg ganz in ihrer weiblich dienenden Rolle seiner stillen Mitarbeiterin aufgeht, verlässt ihren ungeliebten Mann und fährt ihm hinterher.

Sandra Strunz folgte den Frauenfiguren Ibsens auf die große Bühne des Schauspielhauses. Im kleinen Malersaal begeisterte sie mit ihrer ganz eigenen Sicht auf die "Die Frau vom Meer". Nicht nur die Bühne von Katrin Hoffmann zeigt neue Dimensionen. Sie ist mit fahrbaren Riesen-Aktenschränken, die mit einer tiefgrünen Ornamenttapete verkleidet sind, angefüllt. Dunkel und einengend karikieren sie den biederen Ordnungs- und Sammelsinn des Gatten und den Dekorationswillen der Gemahlin und sind doch nur geschlossene Mauern eines hübsch verkleideten Gefängnisses. Hedda bleibt in ihrer Langeweile und Bitterkeit eingesperrt. Brack rät ihr, als sie ihm ihr Leid klagt, doch selbst etwas zu unternehmen. Ja, sie hätte auch schon überlegt...Vielleicht könnte ihr Mann ja in die Politik gehen, fällt ihr einzig dazu ein.

Eine sehr vielschichtige Figur also, diese ängstliche, arrogante, missgünstige, bemitleidenswerte, gefühllose Schönheit. Wiebke Puls zeigt alle diese Aspekte in einer Eindringlichkeit, die in ihrer Überdeutlichkeit sicher bis in die hinteren Reihen vordringen kann. Caroline Peters kitzelt da schon eher die feinen Nuancen der Thea heraus. Falls ihr Selbstverwirklichung schon bekannt sein sollte, liegt sie für sie einzig in der Unterstützung des Mannes. Dieser sollte ihr im Gegenzug ihre Anstrengungen mit treuer Versorgung und Liebe entgelten. Ganz im kindlichen Vertrauen auf Lövborgs Versprechungen lässt sie sich nur von ihrem großen Gefühl leiten. Gegenüber der sich unabhängig gebärdenden, berechnenden Hedda sackt ihr Selbstbewusstsein, das sich nur aus dem vermeintlichen Geliebtwerden speist, in sich zusammen und ihre Unsicherheit lässt sie sich in die Ecken der Tapetenschränke verdrücken und verlegen mit den Füßen scharren.

Lövborg ist bei Meyerhoff nach der Überwindung seines Alkoholproblems zum bekennenden Anonymen Alkoholiker geworden, der mittlerweile ganz zu sich gefunden hat und deshalb sein Sprechtempo seiner neuen esoterisch angehauchten Innerlichkeit angepasst und von jeder Hektik befreit hat. Immer wieder gibt er den Umstehenden den Rat: "Lasst es raus!" So zwingt er selbst Hedda mit sanftem Druck, den er in seinen Selbsthilfegruppen gelernt haben dürfte, zum Bekenntnis "Ich bin feige."

Nach der Pause darf auch Bernd Moss seinem etwas eintönigen und einfältigen Lächeln bösere Züge verleihen, wenn er ganz nach Bedarf des beruflichen Fortkommens mal schnell die Frauen wechselt. Thea hat die Notizen zu dem Buch des zu Tode gekommenen Lövborgs in ihrer praktischen, kleinkarierten Tasche gerettet und wird somit zur besseren Partie als die hochnäsige Hedda, die zwar mit vielen Erwartungen aber weniger mit Willen zur tatkräftigem Unterstützung gesegnet ist. Die wahrhaft liebende Frau trägt nun doch noch ihren stillen Sieg davon. Da kann Hedda ihre hohlen Reden von Schönheit und Aufbegehren gegen die gesellschaftlichen Konventionen noch so laut herausschreien - in diesem Moment hört ihr nur noch das Publikum zu. Dieser neuen Realität mag sie nicht stellen. So findet sie eher den Mut zum Freitod als den Mut zum Leben.

Strunz wollte die Lächerlichkeit des Daseins auf die Schippe nehmen und gerät dadurch manchmal in die Gefahr, zuviel Klamauk auf der Bühne herumlaufen zu lassen. Auf der kleinen Bühne vertraute sie eher den leiseren Töne, während sie sich im größeren Rahmen wohl zur fernwirksameren, lauteren Mitteln genötigt fühlte. Als Verkörperungen der allgegenwärtigen Tanten Tesmanns kriechen ständig Putzfrauen in Bluse, Rock und Schlips aus allen Ritzen hervor. Mit dem Ensemble "vögelkünstler" gießt sie immer wieder als allzu deutliches Kontrastmittel süßliche Schlagersahne über Heddas Elend. Abgesehen von diesen Überflüssigkeiten schafft sie es auch im großen Haus in der fast drei Stunden dauernden Aufführung Bilder für das schale Lebensgefühl, die Abgestumpftheit und die unerfüllten Lebenswünsche, die Ibsens Dramen bestimmen, zu finden.

Birgit Schmalmack vom 18.10.02