Hedda Gabler


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Unerträgliche Lächerlichkeit des Seins

Ohrenbetäubende Rockmusik tönt durch die hohen Räume der großzügigen Neubauvilla. "Take a little peace of my heart" - zu diesem Song lässt die sonst so unberührbar und leidenschaftslos wirkende Hedda Gabler zum ersten Mal ihre Gefühle heraus. Susanne Wolf zuckt und fällt in verzweifeltem, unbeholfenem Tanz über die Bühne. Katja Hass hat eine weiße Beton-Eishöhle mit amorphen Ausstülpungen gebaut. Haltestangen mitten in dem ansonsten fast leeren Bühnenraum geben den Menschen etwas zum Festhalten. Illusionslos leben sie hier vor sich hin. Wenn sie dabei erfolgreich oder zumindest zufrieden sein wollen, müssen sie sich die Fähigkeit zur Anpassung aneignen. Abfinden wird zur überlebenswichtigen Qualifikation, heute auch Flexibilität genannt.

Hedda wünscht sich Macht über ihr eigenes Leben. Und ist doch gefangen in ihrem Nichtstun. Kein Mut hat sie zu einer Tat. Alles erscheint ihr zu klein und unbedeutend, um dafür ein Risiko einzugehen. Der Mut zum Leben fehlt ihr, doch leider auch der Mut zum Tod. Zum Schluss der eineinhalbstündigen Inszenierung von Stephan Kimmig im Thalia Theater soll sie ihn finden.

Hedda Gabler hatte den hamburgisch eingefärbten, betont lockeren Pragmatiker und angehenden Professor Tesman (Felix Knopp)geheiratet, um endlich einen Ruhepol zu finden. Leider schürt die gewünschte Sicherheit gleichzeitig eine unerträgliche Langeweile und Lethargie. Als ihr ehemaliger Geliebter Lövborg (Hans Löw) als erfolgreicher Wissenschaftler aus der Einöde in die Stadt zurückkehrt, wird ihr Unglück umso deutlicher. Was alles hätte sein können, wenn sie nur irgendetwas in ihrem Inneren berühren und bewegen könnte.

Eifersucht gesellt sich zu dieser diffusen Gefühlslage: Heddas ehemalige Schulkameradin Frau Elvsted kreuzt ebenfalls in der Villa auf. Sie hat Lövberg in den letzten Jahren bei seiner Arbeit treu assistiert und sieht ihre Aufgabe nun in der Liebe und Fürsorge für diesen kreativen Chaoten. Fritzi Haberlandt spielt sie als völlig unsicheres, nervöses und hysterisches Anhängsel, das sich endlich einmal nützlich fühlen möchte.

Ganz im Gegensatz zu Hedda fühlt Lövstedt intensiv und zeigt seine Gefühle sehr explosiv. Hans Löw legt einige beeindruckende Gefühlsausbrüche hin. So drückt Hedda ihm einer ihrer Pistolen in die Hand und hofft, dass er in einer Aufwallung den Mut zu einer heroischen Tat finden wird. Als sie erfährt, dass er im Sterben liegt, kann sie ihn zum ersten Mal aufrichtig bewundern. Umso größer ist die spätere Enttäuschung; es war nur ein Unfall. Das gibt ihr den Beweis der absoluten Lächerlichkeit des Seins und die Entschlusskraft zur eigenen Tat. Sie findet den Mut, der ihr im Leben gefehlt hat, indem sie es beendet.

Stephan Kimmig beweist nach seiner gelobten Nora- Inszenierung ein weiteres Mal Gespür für einen Ibsen-Stoff. Eine umjubelte Aufführung erlebte das Premieren-Publikum am Samstag. Besonders Susanne Wolff begeisterte in ihrer einfühlsamen Studie der einsamen und verzweifelten Frau, die sich in Zynismus und Arroganz rettet. Die Tonspur von Michael Verhovec gibt Einblick in ihr Gefühlsleben. Sie setzt konsequent auf Stille, Konzentration und Beunruhigung. Außer der erwähnten, lautstarken Rockeinlage ist nur immer wieder lautes Klacken wie von einer Zeitschaltuhr zu hören. Ihm mischt vor dem Finale ein zuerst dumpfes, dann immer lauter werdendes, bedrohliches Grollen bei. So ist der letzte Knall des Pistolenschusses fast eine Erlösung.

Birgit Schmalmack vom 29.11.04

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