King Lear


Aus nichts wird nichts

Da King Lears (Markwart Müller-Elmau) Lieblingstochter Cordelia (Paula Dombrowski) ihrem Vater keine schmeichelnden Liebesworte auf Kommando vorsäuseln mag, enterbt und verstößt er sie. Ihre beiden strategischen Schwestern, die weniger Skrupel plagten, bekommen das Königreich je zur Hälfte. Kaum halten sie und ihre Ehemänner das Erbe in der Hand, verwandelt sich vermeintliche Liebe in berechnende Ablehnung.

Andreas Kriegenburg lässt den einst mächtigen, großen König auf großväterliche Normalgröße schrumpfen. In dem abstrakten Bühnenraum unter den Buchstaben seines Namens wird die dramatische Bilanz eines gescheiterten Lebens gezogen. Machtgier und Berechnung zerstörten Liebe, Güte und Menschlichkeit.

Kriegenburg schafft den Spagat zwischen Historie und Gegenwart mit einem einfachen Trick. Die Kostüme von Andrea Schaad zeigen eine angestaubte Hofgesellschaft mit Roben aus Flickwerk ,verziert mit hoch aufgetürmter und meterlanger Haarpracht. Im Laufe des dreieinhalbstündigen Abends lässt er alle Masken und Verkleidungen der Personen fallen und sie sich schlichte Büroanzüge der heutigen Machthaber überstreifen.

Ein staubsaugerähnliches Musikgerät inmitten der mittelalterlichen Gewänder produziert auf Wunsch die gewünschte Stimmung zur Situation. Bei Bedarf kann Cordelia zu voller Lautstärke all ihren Frust gegen ihren ungerechten Vater abzappeln. Der schicke Egmont stöpselt dagegen auf siegesgewisse Operarien um und die Töchter arrangieren sich von Zeit zu Zeit romantische Liebesmusik. Die beiden ergattern sich ein wenig Lebensfreude bei schnellen Nummern mit dem fiesen Egmont, dem Hans Löw gezierte Starallüren verpasst. Immer auf entsprechende Wirkung bedacht streicht er das Haar zurück und produziert ein Lächeln ebenso wie Treu- und Liebesschwüre auf Knopfdruck. Stets lässt er die gekreuzten Finger im Rücken ahnen. Er wird zu einer der markanten Persönlichkeiten des Abends.

Neben all diesen berechnenden Personen wirkt King Lear klein und unbedeutend. Er spielt den armen, abhalfterten Großvater, der um Mitleid und Zuneigung bettelt. Wie er seine Macht zu seiner Zeit ausnutzte, so wird er heute genau von diesem System beiseite geschoben. Er hoffte auf späte, freiwillige Anerkennung aus freien Stücken und muss erkennen, dass er den Beifall früher nur als Zeichen der Unterdrückung bekam. Daran wird er fast wahnsinnig. Die einzige Person, die ihm ehrlich gegenübertrat, konnte er nicht wertschätzen. Kriegenburg analysiert klar ein System, das auf Druck und Macht setzt und sich selbst die Probleme schafft, unter denen es leidet.

Birgit Schmalmack vom 9.6.05