Medea als Kämpferin für Pazifismus

Zeitgleich zur Premiere von Medea im Thalia in der Gaußstraße stellte Elena C. Buß eine etwas andere Umsetzung des Medeastoffes vor. Unter der Regie von Peter Ohrt vom Theater Orange zeigte sie ihre Version in der Gnadenkirche an der Karolinenstraße. Auf ein Bühnenbild konnte so ganz und gar verzichtet werden. Die quadratische Kirchenraum bietet mit seiner Rundumgalerie, den zahlreichen Auf-, Ab- und Durchgängen ein ideales Terrain, um selbst das Spiel einer einzelnen Schauspielerin immer wieder mit überraschenden Auftritten zu würzen.

Buß'- im Gegensatz zu Andreas Kriegenburgs - ganz unblutige Medea ist von Kolchos geflohen, weil sie es nicht ertragen konnte, dass ihr Vater ihren geliebten Bruder als Menschenopfer hatte töten lassen, um selbst an der Macht zu bleiben. Der ansehnliche Grieche Iason kam ihr gerade recht, um ihr zur Flucht in sein Heimatland zu verhelfen. Dort muss sie allerdings erkennen, dass auch die Zustände in Korinth nicht besser sind; König Kreon ließ seine kleine Tochter opfern, um weiter regieren zu können. Als dann Iason auch noch, vorgeblich um die Situation seiner Frau und den gemeinsamen Kindern zu verbessern, die Königstochter Glauke heiraten will, kann Medea nicht mehr still halten. Sie wird zu unbequem und von Kreon verbannt. Sie verzichtet auf eine Verteidigung im Glauben ihre Kinder damit zu retten. Doch sie kann ihre Ermordung nicht verhindern.

So steht am Ende eine völlig freie Medea: entledigt jeder Verantwortung, jeder Bindung, jeder Angst vor weiteren Verlusten, aber auch ohne jede Hoffnung. Auf was könnte die noch hoffen, die erfahren musste, dass Fliehen sie immer wieder nur mit den selben Machenschaften von machtgierigen Menschen konfrontiert? Sie hat den Glauben an eine Veränderung verloren, da so etwas wie ein Gewissen in der Welt abhanden gekommen zu sein scheint.

Buß beleuchtet mit ihrem selbst verfasstem Monolog Aspekte einer überaus gradlinigen, selbstbewussten, ethisch festgefügten Frau. Kraftvoll und körperbewusst stellt sie diese starke Persönlichkeit dar, die unbeirrt ihren die Moral hochhaltenden Weg gegen alle äußeren Widerstände geht. Zum Schluss wird sie sich - verlassen von allen - nur noch auf sich selbst verlassen. Sehr ernsthaft begleitet Buß sie bei ihrer weiblichen Selbstfindung. Ihre Medea zeigt wenig Unsicherheiten, Selbstzweifel oder Brüche und eigentlich auch wenig Entwicklung. Schon zu Beginn in Kolchos ist sie die moralische Größe und wird es am Schluss in Korinth wieder sein. Dazwischen liegen ein paar Illusionen und deren Verluste. Sie sind die Grundlage für etliche dramatische Momente dieses Abends.

Wenn Buß zum Ende in einem engen, roten Abendkleid mit Oberarmschmuck mit der Frage aus der Kirche schreitet, ob es für sie eine Zeit und einem Ort geben kann, darf man in diesen Zeiten wohl wenig optimistisch sein. Diese strikte Form des Idealismus mit einem Hauch von übermenschlicher Gottgleicheit dürfte es zu jeder Zeit sehr schwer haben.

Birgit Schmalmack vom 15.12.01