Perspektivenwechsel

Es kommt doch immer auf die Perspektive an. Seit dem Film "Mikrokosmos" dürfte diese Tatsache bekannt sein. Betrachtet man die Welt aus dem Blickwinkel eines Käfers, bekommen die Dimensionen der Welt ein wenig andere Ausmaße als aus der eines Menschen. In die Welt auf Grashöhe kann man sich mit Hilfe des Theaters in der Washingtonallee versetzen. Zur Unterstützung bekommt jeder Zuschauer ein Opernglas zur Hand, das er je nach Linsenstellung zum Vergrößern bzw. zum Verkleinern benutzen kann, um sich mal als Zwerg oder als Riese fühlen zu können.

Gegenstand der Betrachtung ist der sonnenbebrillte Nobert Eichstädt, der es sich in einem Liegstuhl mit einem Gläschen Rosentau gemütlich gemacht hat. Er ist die Hauptperson in dem englischen Garten-Krimi von Paul Shipton. Als Käfer-Detektiv namens Muldoon, genannt die Wanze, hat er einen höchst komplizierten, vielschichtigen Fall zu lösen. Sein Betätigungsfeld ist ein winziges Fleckchen Erde namens Garten, doch für ihn ein komplettes Universum. In ihm spielen sich in der Krimiparodie dramatische Ereignisse ab. Krabbler verschwinden auf unerklärliche Weise. Mulddon als Könner seines Fachs wittert schon Aufklärungsbedarf, bevor er von der Ameisenkönigin den offiziellen Auftrag zur Ermittlung der Vorkommnisse erhält.

Ganz nach James-Bond-Art gerät er dann zwischen die Fronten der verschiedenen Interessenverbände. Da sind zum einen die revolutionierenden Ameisen, das nach Macht strebende Volk der Wespen im Verbund mit dem Überläufer der Ameisen, Kommandant Krag, und die gefräßige Killerin Spinne, die gerne die schmutzige Arbeit der Beseitigung der unliebsamen Gegner übernimmt und so auf unkomplizierte Art ihren Speiseplan erweitert.

Auf höchst amüsante Weise führt Eichstädt in Personalunion aller Rollen wandlungsfähig durch die Geschichte und macht weitere Schauspieler überflüssig. Er ist sowohl die stotternde Stubenfliege Jake, der derbe Kneipenwirt Mistkäfer Dixie, die britisch-gezierte Ameisenkönigin, der brüllende, mit einer Fliegenklatsche bewaffnete Kommandant Krag, die liebliche Ameise Clarissa sowie die lispelnde, homoerotisch veranlagte Wespenkönigin. Immer genügt ihm ein Sonnenbrillenwechsel, um in die neue Person zu schlüpfen. Unterstützt wird er von dem Musiker Michael Wehmeier, der am Piano für die passende Untermalung der Stimmung sorgt. So wird eine spannungsreiche Geschichte lebendig, die nicht nur Unterhaltungswert besitzt, sondern durch den Perspektivwechsel Parallelen zum Gewusel der Menschen deutlich macht und deren Probleme zu unbedeutenden Nichtigkeiten werden lässt.

Birgit Schmalmack vom 12.01.02