Die Hackordnung


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Glückssucher - von der Leine gelassen

In die turbulente Wechselhaftigkeit heutiger Beziehungskisten versetzt "Die Hackordnung" von Nick Silver, die das Winterhuder Fährhaus in ihrem kleinen Saal zur Besichtigung freigibt. Auf der unaufwendigen, kleinen Bühne (Claudia Kuhr), die nur mit ein paar verschiebbaren Kästen und wechselnden Bildern an den Wänden den Ortswechsel deutlich macht, wird die verwickelte Geschichte um fünf Menschen vorgeführt, die alle ihre ganze speziellen Neurosen durch ihr eigenes und in das Leben der Anderen tragen.

Da ist zum ersten Amanda, die den ersten Akt ganz mit ihren eigenen Problemen füllen kann. In Ermangelung anderer Gesprächspartner ruft sie Bea von der Telefonseelsorge an, die in einem Schnellkurs von einer Friseurin zur Notfallberaterin geschult worden ist und nun die "Friedhofsschicht" am Telefon zugewiesen bekommen hat und so an Amanda gerät. Letztere ist von ihrem Ehemann Ford nach einer Woche Ehe verlassen worden und sitzt seitdem in ihrer Wohnung und hält Wache, um die ersehnte Rückkehr des verehrten Ford nicht zu verpassen. Saskia Fischer verkörpert diese kapriziöse, verwirrte, komplizierte Dichterin auf eine faszinierende Weise. Sie vollbringt das Wunder alle Regungen der zwischen Schreien, Heulen und Gefasstheit hin- und herschwankende Frau in ihrem Spiel nachvollziehbar und fast logisch erscheinen zu lassen.

Der zweite Stadtneurotiker ist Otto (Alexander Haugg), der Dicke, der sein Unglück durch einen ständigen Vorrat an Essbarem, den er in einer riesengroßen Papiertüte mit sich herumführt, zu minimieren versucht. Er ist ebenfalls ein Verlassener: Sein kurzfristiger Geliebter Serge, ein gut gebautes, blasiertes Unterwäsche-Model, hat ihn nach einer Vier-Wochen-Affäre abserviert. Der zweite Akt gehört also Otto und seinem Weltschmerz. Durch einen beständigen Wortschwall versucht er seinem ehemaligen Liebhaber seine fragwürdigen Qualitäten klarzumachen. Haugg gelingt es überzeugend einen bemitleidenswerten Mann zu zeigen, der hinter seiner angefutterten Schutzschicht aus Fett einen nach Liebe hungernden Jungen versteckt.

In letzten Akt treffen alle Beteiligten aufeinander: Serge sucht Ford, seinen neuesten Liebhaber, in Fords ehelichen Wohnung, die er mit Amanda teilt. Otto verfolgt Serge bis dorthin, um ihn doch zu einer mitleidsvollen Versöhnung zu bewegen, und Bea (Monika Werner) erscheint, um sich davon zu überzeugen, dass Amanda sich wie versprochen nicht aus dem Fenster gestürzt hat. Jetzt kann diese lebenspraktische Wasserstoffblondierte im Tigerlook zeigen, was sie in ihrem Schnellkurs gelernt hat: Sie darf für ein schlaffes Happy End sorgen. Sie überzeugt die drei Schlanken davon, dass sie um weiteren Komplikationen aus dem Weg zu gehen doch praktischer Weise gleich zu dritt ins Bett gehen sollten und veranlasst damit den dicken, ausgeschlossenen Otto, der sich als ihr Sohn herausstellt, zu einem Gang auf die Toilette, bei dem Würgegeräusche und ein Schuss zu hören sind.

Dieser tempo- und aktionsreiche Showdown am Ende des Abends hätte auf Boulevard-Komödien-Niveau abrutschen können, wenn Saskia Fischer nicht mit einem ironischen Blick oder Tonfall die rettenden Seitenhiebe geliefert und so im entscheidenden Moment für die nötige überspitzende Distanz gesorgt hätte. Leider waren nicht alle Darsteller von dieser Qualität. Mit verkniffenen, nichtssagenden Blick tänzelt Georg Münzel als Serge die meiste Zeit in weißer Cavin-Klein-Unterwäsche über die Bühne und könnte eigentlich jedem nur ein Gähnen entlocken. In seiner Version gerät dieser erfolgsverwöhnte Mensch, der nur sein Äußeres zu vermarkten versteht, leider zu einem Abziehbild eines Homosexuellen. Etwas mehr differenzierte Darstellung dieser Charakters hätte auch ihm eine zweite Ebene verschaffen können. So bleibt er zu platt, um verständlich zu machen, dass zuerst der arme Otto, dann der intelligente Ford und zuletzt auch noch die anspruchsvolle Amanda so scharf auf ihn sein sollen.

Nick Silver hat in seiner Screwball-Komödie die Freizügigkeiten der heutigen jungen Generation unter die Lupe genommen und ironisch aufgespießt. Alles ist erlaubt. Ob mit einer Frau, ob mit einem Mann, ob für kurz oder für länger, ob zu zweit oder zu dritt eine Art der Beziehung ausprobiert wird, muss jeder Mensch für sich alleine herausfinden. Alle verbindliche Regeln sind über Bord geworfen worden. Dass die Menschen dabei nicht viel glücklicher geworden sind, zeigte "Die Hackordnung". Wie auf dem Hühnerhof versuchen sie ihren Platz und ihr Recht auf Glück durch Wegbeißen der Anderen durchzusetzen. Moral - für dieses Wort bräuchten diese egozentrischen Glücksucher ein Fremdwörterbuch.

Birgit Schmalmack vom 20.1.02