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Lerne nein zu sagen

Ein Nein zu äußern erforderte wohl zu allen Zeiten Mut. Schon Brecht dachte in seinem Lehrstück "Der Jasager und der Neinsager" über diese Frage auf seine Art nach. Stellt sie sich in unseren Tagen des Individualismus überhaupt noch? Tom Kühnel und Jürgen Kuttner meinen in ihrer modernen Neufassung "Jasagen und Neinsagen": Aber sicher! Wenn sie auch die Abnicker von der Bergwelt in die Geschäftsetagen verlegen. Heutzutage finden die Lehrstücke in den Seminaren für Führungskräfte statt. Bei Kaffee, Keksen und Wasser werden in Abteilungsaufstellungen, Rollenspielen und Supervisionen die Verhaltensweisen trainiert, die die von Brecht geforderte Anpassung an neue Verhältnisse sicher stellt.

Der Witz in dieser Versuchsanordnung von Regisseur Kühnel liegt aber gerade darin, dass sie sicher keineswegs in Brechts Sinne gewesen wäre. Dient sie hier doch ausschließlich dazu, die kapitalistischen Strukturen zu erhalten und zu bedienen. Die Menschen sind dabei genau so zum Jasager und Mitmacher degradiert, wie Brecht es anprangern wollte. So wie der kranke Junge seinem eigenen Tod zustimmt, um seiner Bergsteigertruppe nicht weiter zur Last zu fallen, werden hier Mitarbeiter entsorgt, die das Ziel der Bilanzhöhen nicht mehr erreichen können. So verkommen diese "Lehrstücke" zu Trainingseinheiten für die Jasager von heute. Die Einheit für den potenziellen Neinsager gibt es allerdings nur für den Vorgesetzten: Er sagt nein zu den schlechten Leistungen seiner Untergebenen.

Die Schauspieler Peter Kurth, Anna Steffen und Claudia Renner werden auf der Bühne des Thalia in der Gaußstraße von der Puppenspielerin und dem Kultmoderator Kuttner unterstützt. Letzterer erklärt auf seine unnachahmliche Art die großen philosophischen Zusammenhänge zwischen der ersten kopfschüttelnden Kopfbewegung des milchsuchenden Säuglings, dem Nein der sinnsuchenden Antike, dem Ja der gewinnsuchenden Moderne und dem Nein der Brechterben. Er sorgt somit für viel Erheiterung über nicht enden wollende Bandwurmsätze, die scheinbar tiefschürfende Sinneinheiten aufschimmern lassen. Der ausdruckstärkste Mitspieler aber blieb die kleine Jungenpuppe, die mit ihrem verknautschten Gesicht das Wunder vollbrachte zugleich die Weisheit des Alters und die Unschuld der Jugend auszudrücken. Er konnte sich als einziger noch erlauben, dass sein Nein tatsächlich ein Nein und sein Ja tatsächlich ein Ja war.

Birgit Schmalmack vom 30.1.06