die 50mal besseren amerikaner


www.hamburgtheater.de

Deutsche Befindlichkeiten

Die Journalistin hätte sich unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Katastrophe bei einer Professionalität ertappt, für die sie sich wenig später gleich wieder entschuldigt hätte. "So sorry. So sorry." Für Professionalität sich entschuldigen zu müssen; das sei ihr noch nie passiert, aber schließlich hätte sie aus gegebenem Anlass auch sieben Stunden durchmoderieren müssen. Der Kollege hätte in seinem Bekanntenkreis plötzlich lauter kleine Amerikaner gehabt, die alle plötzlich so betroffen gewesen wären. Die Reihenhausbewohnerin hätte früher stets Stellung gegen den Krieg bezogen, aber wäre jetzt nur noch so halb und halb gegen den Krieg, weil es ihr mittlerweile so scheine, als ob man gegen diesen Krieg einfach nicht sein dürfe.

In einer Aneinanderreihung von Statements von mehr oder weniger mitfühlenden Deutschen liefert Kathrin Röggla ein Kaleidoskop der deutschen Befindlichkeit kurz nach dem 11.9. Die Deutschen, die immer "die 50mal besseren amerikaner" sein wollten, entdecken durch den Terroranschlag auf die symbolträchtigen Türme, dass sie sich in Überfüllung ihres Zieles schon von den Amerikanern entfernt haben. Röggla imitiert den Tonfall der Medienberichterstattung, indem sie die persönlichen Sichtweisen in der indirekten Rede vortragen lässt. Diese umständlich wirkende Ausdrucksweise und fehlende Charakterisierung der Personen stellt hohe Ansprüche an Regie und Darsteller. Barbara Weber setzte im Gastspiel des Theaterhauses Jena im Thalia in der Gaußstraße die vier Berichterstatter in einen bunten Kinderspielplatz aus Papphäusern, Seilbahn und Kunstpflanzen, die kostengünstig und einfallsreich aus Pappe und Schaumstoff hergestellt wurden. Der Text von Röggla ist so spannend, sprachlich innovativ und inhaltlich anregend, dass das Stück immer noch genügend Interessantes bot, obwohl in dieser Inszenierung nicht alle Aspekte ausgelotet werden konnten.

Birgit Schmalmack vom 8.6.03