Fräulein Julie


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Schwedische Direktheit

Das "Fräulein Julie" von August Strindberg ist in Charlotte Engelkes Version im Malersaal eine höchst unkonventionelle Dame. Die Schwedin Engelkes wollte Julies Verführungskunst einmal auf die direkte Art der schwedischen Frauen zeigen. So singt sie vor fünf phallusähnlichen Kaktusstengeln von ihrer Sehnsucht nach Liebe und lässt dabei ihre schwarze Anzughose auf die Männerschuhe sinken. Anschließend entledigt sie sich ebenfalls der übrigen Kleidungsstücke und vollführt einen höchst erotischen Säbeltanz, der ihre langen Glieder wirkungsvoll zur Geltung kommen lässt und einen Ausblick auf das dramatische Ende ihres Spiels mit dem Feuer und ihrem Diener Jean bietet.

Durch die Atmosphäre der schwedischen Mittsommernacht animiert verführt die Grafentochter Julie ihren Untergebenen Jean (Gonzalo Cunill) und kann nach der gemeinsam verbrachten Nacht nicht mehr zur Tages-/bzw. Standesordnung übergehen. Träumt sie von einer gemeinsamen Zukunft, träumt er von ihrem Geld und dem sozialen Aufstieg. Mögen die Klassenunterschiede heute auch nicht mehr die Rolle des 19. Jahrhunderts spielen, so sind Unterschiede zwischen Mann und Frau trotz mittlerweile unverblümter Offenheit anscheinend nicht weniger geworden. Vor dem alles ändernden Geschlechtsakt ist Julie die starke, emanzipierte Frau, die die Lage völlig unter ihrer Kontrolle hat. Danach wandelt sie sich zu einer Abhängigen, die den Mann braucht, um Entscheidungen zu treffen - und sei es eine so entscheidende wie die über ihr Weiterleben oder ihren Selbstmord.

Engelkes beschränkt sich in ihrer Umsetzung auf die entscheidenden Handlungsstränge aus Strindbergs Drama und streicht alle Randbereiche (außer einem entbehrlichen, folkloristischen Auftritt von Jeans Verlobten Kristin, in dem Engelkes beweist, dass sie auch noch Gitarre spielen kann). Nach bewährter Musical-Manier greift sie an Stellen der Rührung, der Verzweiflung, des Stillstands oder des Liebeshungers zum Mikro und singt. Sie spielt in gewohnter Weise viele Rollen auf einmal: die der Regisseurin, der Sängerin, der Tänzerin, der Entertainerin und schließlich auch die des Fräulein Julie. Ihre wichtigste Rolle aber, die sie nie ablegt, ist die der Charlotte Engelkes. Schön, wenn letztere so gut zum verkörperten Charakter passt: Ihre natürliche aristokratische Haltung, die eine Untastbarkeit selbst im Zustand der völligen Nacktheit ausstrahlt, erleuchtet die Figur der adligen Grafentochter, die sich auf ein Abenteuer mit unbekanntem Ausgang einlässt. Dass diese starke Persönlichkeit später von Jean in eine Kiste eingesperrt und er versucht diese zu zersägen, ist daher umso verstörender. Die Rolle der willenlosen, blind verliebten Puppe will so gar nicht zu Charlotte Engelkes passen.

Überzeugender tritt sie - und ihr Partner steht ihr hier in nichts nach - in dem rein verbalen Vereinigungsakt der beiden auf. Vor einem Mikrofon unter einem Spotlight an entgegengesetzten Rändern der Bühne stehend berichten sie völlig cool von ihren Wünschen und ihren Aktivitäten ("lieber Saugen oder Lecken?"), um den Anderen zu beglücken. Doch ansonsten hat es der kleine Gonzalo Cunill aus der Needcompany von Jan Lauwers neben der alles überragenden Engelkes schwer. Er hat neben ihr kaum Platz, der für den stets bescheiden und schüchtern Wirkende auch nach Wendung der Umstände nur unwesentlich größer wird.

Selbst als Fräulein Julie zum Schluss alle Aktion an andere abgegeben hat - sie lässt von der Konserve singen ("Everybody is fucking but me") und mit sich tanzen -, zieht sie noch alle Aufmerksamkeit auf sich. Wie eine Puppe steht oder hängt sie auf Jeans Füßen und wird immer im Kreis herumgeschoben. Aus dem ewigen Teufelskreis der enttäuschten Erwartungen zwischen den Geschlechtern kann sich selbst diese große, selbstbewusste Macherin nicht befreien. Zu einem tödlichen Abgang von der Bühne, den Strindberg für sie vorgesehen hatte, mag sich diese immer gern Präsente sich aber dann doch nicht entschließen. Weil sie es versteht, alles mit einem Augenzwinkern und einer Portion Selbstironie zu würzen, kann man ihr deswegen kaum böse sein (schließlich heißt ein Song von ihr: "I am in love with me") - aber auch beeindruckt?

Birgit Schmalmack vom 28.01.02