Faces


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Sag nicht, dass das wenig ist, es ist alles

Ich habe ein großes Auto, ein schönes Haus, eine nette Frau und einen Sohn, der studiert. Sag bloß nicht, dass das wenig ist, es ist alles, was ich habe, sagt der Mann zu der Frau, die er gerne für sich gewinnen will. Zwar nur für einen Abend, eigentlich nur für ein paar Stunden, weil ihm dieses "Alles" dann doch zu wenig geworden ist. Er hatte sich mehr als Belohnung für seinen harten Job als PR-Manager, für den er sich den ganzen Tag in Sachen Selbstverleugnung schulen muss, erhofft. So glaubt er das Recht auf ein paar extra Portionen Spaß zu haben. Er holt sie sich bei etlichen Drinks und schönen Frauen, für die er auch gerne ein paar Scheine hinlegt.

Diese Ehemänner und ihre dazugehörigen Frauen zeigte John Cassavetes in seinem Film "Faces". Regisseur Ivo van Hove lässt in der Bühnenfassung die Zuschauer hautnah im Geschehen Platz nehmen. Nachdem die Schuhe an der Garderobe abgegeben wurden, dürfen sie sich in eines der achtzig Betten auf der Bühne legen. Federkissen und Satinbettdecken sorgen für einen weichen Liegeplatz. Das Bettchenwechseldich-Spiel der Erwachsenen findet teilweise auf dem Bettende direkt vor den Zuschauern statt.

Die Hauptrequisiten der Schauspieler sind überall griffbereit deponiert: Flaschen und Gläser sind auf den zahlreichen Stehtischen zwischen den Betten verteilt. Alkohol ist eines der Hauptnahrungsmittel um zu Überleben. Ohne diesen Stoff, der die Sinne sanft umnebelt, können diese erfolgsverwöhnten Menschen ihrem Lebensziel des ständigen Vergnügens nicht nahe kommen. Er soll ihnen zumindest vortäuschen, dass ihr Leben sich lohnt, weil sie Spaß haben. Wozu sollte das Leben denn sonst auch dienen?

Die dazugehörigen Ehefrauen haben in diesem Arrangement die Aufgabe den hart arbeitenden Männern, von denen sie unterhalten werden, abends für ihr hartes Tagwerk zu entschädigen. Stellen sie auch noch eigene Ansprüche und zeigen Anzeichen von Unzufriedenheit, fühlt sich der Mann hintergangen. Seine Rechnung scheint nicht aufzugehen. Das Glück stellt sich nicht automatisch ein, obwohl er Randbedingungen dafür geschaffen hat. Die Frauen befinden sich in einer freiwillig gewählten Zwangslage. Sie haben vermeintlich alle Freiheiten und sind doch in einer absolut abhängig vom Geld und der sozialen Stellung des Mannes. So fühlen alle sich betrogen und nehmen sich das Recht heraus ihrerseits den anderen zu betrügen mit anderen Geschlechtspartner, die die Lücken auffüllen sollen.

Immer wieder knallen die Gläser und Flaschen in die mit Lautstärkern versehenen Mülleimer. Immer wieder schrillt das Telefon. Und immer wieder sorgt ein flotter Song für die nötige Partystimmung, wenn sie auf den Nullpunkt zu sinken droht. Hove schafft es so, die Leere und Verzweiflung zum Greifen nach an die Zuschauer heran zu bringen.

Von den Schauspielern bleiben besonders Samuel Weiss und Katja Danowski in Erinnerung. Sie dürfen in ihrem Spiel berühren, weil sie als einzige hinter die Fassade blicken und ein wenig Wahrhaftigkeit in dem ganzen Showgehabe durchschimmern lassen dürfen. Das Premieren-Publikum veranlasste mit seinem langanhaltenden Applaus die Darsteller zu immer neuen Verbeugungsrunden inmitten der Betten.

Birgit Schmalmack vom 5.10.05