Gagarin Way


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Projekt: Gewalt für eine gute Sache

Das wir jeden Tag das gleiche tun müssen, ist sehr traurig, befindet der schottische Arbeiter Eddie (Andreas Döhler), der schon seit sieben Jahren in der Fabrik schuftet. Die Hoffnung auf einen Aufstieg oder eine Veränderung hat der 32-jährige schon lange aufgegeben und die kleinen Gaunereien, die ihm früher noch Spaß bereitet haben und für etwas Abwechselung gesorgt haben, bringen mittlerweile auch nicht mehr den nötigen Kick. So hat er sich mit seinem vermeintlichen Gesinnungsgenossen Gary (Andreas Pietschmann) zusammengetan und etwas Großes geplant: Sie wollen einen wichtigen Manager aus den Kreisen der Wirtschaftsverdiener kidnappen und umbringen. Doch Gary bringt leider statt des erwarteten Japaners einen Schotten (Hartmut Schories) aus demselben Arbeitervorort, in dem sie selbst ihre Kindheit verbracht haben, in die Fabrikhalle. Dort hat Eddie inzwischen mit dem studierten Wachmann (Asad Schwarz-Msesilamba) Tom alles geregelt und ihnen freie Bahn verschafft. Leider nur solange, bis dieser seine zuvor herunter gefallene Mütze nicht vermisst. So wird er unfreiwillig in die Angelegenheit mit hinein gezogen. Da er als Politologie-Diplomand über einiges Fachwissen verfügt, steigt er kurzerhand in die nun folgenden Diskussionen über den Kapitalismus, die Globalisierung und die Einwirkungsmöglichkeiten der Arbeiterschaft mit ein, die Gary mit dem Manager als einem Vertreter aus dem Lager, die es geschafft haben, unbedingt führen will. Das sieht Eddie nur als überflüssige Zeitverschwendung an.

Immer wieder wechseln die Fronten in "Gagarin Way" von Gregory Burke, das im Foyer des Thalia in der Gaußstraße zu Aufführung kam. Eddie sucht die Aktion und Gary will ein Zeichen für die Macht der Arbeiterschaft setzen. Eddie redet von der Gewalt und Gary von dem guten Zweck, für die er sie einsetzen will. Eddie hat schon jede Hoffnung auf politische Wirkungen fahren lassen und Gary glaubt noch immer an klassenkämpferische Ziele. Nur Arbeiter hätten ein Mitgestaltungsrecht in der Gesellschaft. Dass er in dem gekidnappten Frank gar nicht auf den großkapitalistischen Klassenfeind trifft, wirft für ihn neue verunsichernde Fragen auf und erhöht nur noch sein Bedürfnis nach Diskussion und Auseinandersetzung. Doch Eddie redet derweil von der "Propaganda der Tat", ohne seine Ziele genauer benennen zu können. Zur Füllung dieser Leerstellen fallen ihm nur die Schlagwörter und Allgemeinplätze ein, die er zuvor von Eddie aufgeschnappt hat. Erst der Ex-Student Tom kann etwas theoretische Substanz zu diesen Stichworten beisteuern.

Die Regisseurin Annette Pullen setzt in ihrer zurückhaltenden Inszenierung ihren Schwerpunkt ganz klar auf die Auseinandersetzung und Beziehungsstrukturen zwischen den vier Männern. Einige metallene Transportkästen (Bühne: Petra Winterer) reichen ihr und den vier Darstellern, um in wechselnden Anordnungen für Sitzgelegenheiten im Fabrikambiente zu sorgen oder scheppernde Geschäftigkeit zu zeigen. Für die Gewaltanwendungen findet Pullen eine abstrakte Ebene, macht aber die Bereitschaft dazu und die ausgehende Bedrohung stets deutlich. Sie nimmt sich Zeit für kleine Blicke und Gesten, um die wechselnden Bündnisse zwischen den Vieren darzustellen. Ein spannender Theaterabend - und das nicht aufgrund der thrillerähnlichen Situation und Action auf der Bühne, sondern wegen der interessanten Gedankenansätze zur Ohnmacht und zum Widerstand der "kleinen", zur Macht der "großen" Leute und ihrer verkannten, gemeinsamen Wurzeln.

Birgit Schmalmack vom 22.03.03