Die zwölf Geschworenen



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Entscheidung über Tod und Leben

12 Menschen haben eine Entscheidung über Tod oder Leben eines Menschen zu fällen. Sie sind Geschworene in einem Gerichtsprozess über ein scheinbar glasklaren Fall: Ein junger, vom Leben gebeutelter, siebzehnjähriger Mann wird in einem Indizienprozess des Mordes an seinem Vater überführt. Selbst sein Pflichtverteidiger macht sich keine unnötige Mühe mehr, Zweifel an seiner Schuld aufkommen zu lassen. Nur in der Geschworenen-Jury, die hinter verschlossenen Türen zu einer einstimmigen Entscheidung kommen muss, fühlt sich einer, der Architekt (Jacques Ullrich) seinem Gerechtigkeitssinn und Mitmenschlichkeit so weit verpflichtet, dass er als einziger für "Nicht schuldig" plädiert und so den heiß erwarteten Feierabend für alle in weite Ferne rücken lässt. Er besteht auf einer nachträglichen, detaillierten Hinterfragung aller angeführten Indizien.

Die brütende Hitze an diesem Sommertag, der Ausfall der Klimaanlage und die scheinbar zweifellose Schuld des Angeklagten bescheren ihm damit elf mehr oder weniger emotional reagierende Gegner. Da gibt es die energiegeladene Witwe und Geschäftsfrau (Hannelore Droege), die ihre ganz persönliche, unerfreuliche Familiengeschichte mit diesem Prozess verarbeiten möchte. Der Baseballfan und bekennende Macho (Tarek Youzbachi) sorgt sich mehr um sein durch völlig überflüssige Diskussionen verpasstes Baseballspiel als um das Menschenleben des eh' verdorbenen jungen Mannes. Die russische Emigrantin und Chemikerin (Maike Harten) dagegen analysiert streng logisch die Argumente und ist zu jedem Energieaufwand für den Erhalt der amerikanischen Demokratie und Meinungsfreiheit bereit. Die selbstbewusst auftretende Marketingfrau (Katrin Gerken) zeigt nur vordergründiges Interesse an dem Fall; überfordert von den vielen Fakten sinniert sie statt über das zu fällende Todesurteil lieber über praxisbezogene Ideen für ihre Agentur nach. Und der unbedarfte Tankstellenbesitzer (Ulrich Bähn) schreit in Wut über die verlorene Arbeitszeit all seine faschistischen Vorurteile gegenüber dem kriminellen Gesocks heraus, das ohne Unterschied unschädlich gemacht werden sollte.

Hervorragend gezeichnete Figuren mit eigener Persönlichkeit und Lebensgeschichte markieren in der eindrucksvollen Inszenierung von Frank Grupe einen Querschnitt der ganz normalen amerikanischen Gesellschaft. Der zeitlose Filmklassikers "Die zwölf Geschworenen" wurde behutsam modernisiert: Neben den sieben Männern treten auch fünf Frauen in den Sitzungssaal. Zeitattribute wie Kleidung, Freizeitbeschäftigungen, Geschlechterrollen und Arbeitsumfelder wurden heutigen Verhältnissen angepasst. Hier sind durchschnittliche Bürger versammelt, die objektiv entscheiden sollen und dabei ihre subjektiven Hintergründe unbewusst mit einbringen. Sie halten sich für aufgeklärte, demokratische und verantwortungsvolle, aufrechte Bürger und sind doch überfordert mit der ihnen gestellten, anspruchsvollen Aufgabe. Dabei spielt der Grad der Bildung, der Logik und ihrer Redegewandtheit weniger eine Rolle als der ihrer Empathie und ihres Gerechtigkeitsempfindens. Die Eloquenteren unter ihnen können ihre vorgefassten Meinungen nur besser verkaufen als die, die zu schimpfwortreichen Gefühlsausbrüchen neigen. Ein immer noch sehr interessantes, einkenntnisreiches Stück über das Wesen und die Schwierigkeiten der Demokratie, das den Besuch des Altonaer Theaters auf jeden Fall lohnend macht.

Birgit Schmalmack vom 24.01.04