Mary...und sonst gar nichts



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Wer spielt hier die Hauptrolle?

"Mir ist meine Frisur sehr wichtig, schließlich braucht jeder alte Schinken einen schönen, goldenen Rahmen", gesteht Mary gleich zu Beginn ihrer Show im Altonaer Theater und greift sich in die hochtoupierte, goldblonde Mähne. Auch sonst blinkt und glitzert alles an ihr. Ihr Pailettenkostüm funkelt mit den Ohrringen um die Wette und die Stöckelschuhe verleihen ihr den leicht schwankenden Hüftschwung. Viel Schminke sei nötig gewesen, um ihr Gesicht halb so alt aussehen zu lassen wie ihr übriges Fleisch, das im Gegensatz zu den Männern an ihr hängen bleiben würde. Aber ein Problem der anderen bemitleidenswerten Frauen hätte sie jedenfalls nicht: Ihre Brüste würden nie der Schwerkraft folgen - jedenfalls solange sie keine Schaumstoffallergie bekommen würde. Sie seien sogar bei 60 Grad waschbar.

Mary zieht in ihrer neuen Show genüsslich über sich selbst, ihr Alter, die Frauen, die Männer und ihre Position zwischen den Geschlechtern her. Doch auch das Publikum ist nie vor ihrer großen Schnauze sicher. Den Humor der ersten Reihen unterzieht sie im Laufe des Abends einer intensiven Prüfung. Ratschläge für die neuesten Anmachsprüche im Altersheim oder die Benutzung von Viagra für potenzgeschwächte Ältere bekam das durchweg nicht mehr ganz junge Publikum zu hören. Das tat deren Amüsement jedoch keinen Abbruch. Schließlich hatte Mary ihnen immer wieder charmant versichert: "Jede Bosheit kommt von Herzen!"

Doch Mary schlägt in diesem Programm nicht nur witzige Töne an. Sie lässt sich nicht nur über Sex und Schönheit aus. Ihr geht es auch um Botschaften. Sie redet über Aids, hungernde Kinder, Neonazis und geschlagene Frauen. Sie weiß schließlich, dass Travestiekünstler wie sie eine der ersten wären, die unter einem Mangel an Toleranz und Offenheit zu leiden hätten.

Die Begegnung mit ihrem männlichen Ich Georg Preuße ist ein Höhepunkt der Show. Per Filmeinspielung trifft sie auf ihr Alter Ego. Gemeinsam sinnieren sie über ihre Beziehung zueinander und ihre Abhängigkeit voneinander. Und sie streiten, wer von ihnen die Hauptrolle ihres Lebens beanspruchen darf.

Für die Zeit der Show stellt Mary unmissverständlich klar, wer hier auf der Bühne im Rampenlicht steht. Doch als der Vorhang fällt, wird die Antwort differenziert: Während Mary am Ende der Show ihren Lebensweg mit "I did it my way" beschreibt, streift sie die hochhackigen Schuhe ab, entledigt sich der Perücke, wischt sich die Schminke vom Gesicht und hakt sich das Kleid auf: Zum Vorschein kommt Georg Preuße, ein schmaler Mann mit verschwitzten Haaren und leichten Geheimratsecken, aus dessen rot geschminkten, lachenden Mund die letzten drei Stunden Gags wie am Schnürchen herausgerollt waren. Das Publikum dankte es ihm mit herzlichem Applaus.

Birgit Schmalmack vom 15.8.06