Aufgedrehte Technopüppchen

Eine Frau und ein Mann beäugen sich vorsichtig und umkreisen dabei ein unbeleuchtetes Viereck. Endlich in die ungewisse Dunkelheit vorgedrungen, versuchen sie sich gegenseitig zu berühren, doch einer von beiden windet sich stets unter der versuchten Umarmung des anderen heraus. Endlich sind sie soweit, dass sie ein gemeinsames zartes Tänzchen wagen, da stoßen weitere Frauen zu ihnen. Langsam beginnt sich die Frau aus dem Paartanz wieder zu lösen und reiht sich in die Frauenriege mit ein. Der Mann umfängt sie immer wieder, doch ist ganz dem Rhythmus der anderen Frauen verbunden. Der Mann will schon aufgeben, da setzt sich die Frau auf den Boden und lehnt ihren Kopf sanft an seine Schulter. Als er sieht, dass sie damit nur der Bewegung ihrer Geschlechtgenossinnen folgt, steht er auf und alle Frauen fallen um.

In solchen der Choreographie von Kim Itoh "I want to hold you", die er mit seiner achtköpfigen Compagnie "The Glorious Future" auf Kampnagel zeigt, werden erklärende Worte überflüssig. Er stellt in seiner kontrastreichen Arbeit die Sehnsucht nach wahrhaftiger Begegnung dar. Dazu bestreitet er das erste Drittel des Abends als einsamer Kämpfer in einer Art Tarnanzug als konzentriertes Solo. Unter acht Lampenkegeln versucht er die Energie des Lichts in sich aufzunehmen. In langsamen, kriechenden, zaghaften und pantomimischen Bewegungen erzählt er von einer allumfassenden Einsamkeit, die keinen Ausweg kennt. Immer wieder versucht er mangels Alternative das flüchtige Licht zu umarmen.

Dann werden acht starre, leblose Figuren von Bühnenarbeitern auf die Bühne getragen und verdrängen ihn von seinem Platz. Unter den Lichtstrahlen erwachen sie zum Leben. Wie aufgedrehte Technopüppchen zucken sie zu schnellen Beats. Aufgereiht zeigen sie nur vordergründige Individualität. Sobald einer ausschert, wird er von den fordernden Blicken ermahnt sich rasch wieder einzureihen. Ihre vermeintliche Lebensfreude und Energie wirkt künstlich aufgepuscht. Denn diese jungen, scheinbar lebenslustigen Leute bleiben letztendlich so allein wie der einsame Streiter zu Beginn. Ergeben sich eher zufällig Begegnungen, sind sie nur von kurzer Dauer und zeigen Beliebigkeit und Austauschbarkeit. Die Männer sind stets bemüht diejenige, die sich ihnen an den Hals geworfen hat (was Itoh wörtlich nimmt und die Frauen die Männer anspringen lässt) schnell wieder abzuschütteln, um bei den anderen Eindruck als besonders ausgereifter Macho schinden zu können.

Zum Schluss mischt sich Itoh wieder unter die übrigen Tänzer, die ihn noch einsamer wirken lassen als zuvor, als er ganz alleine auf der Bühne war. Seine Andersartigkeit, seine ernsthafte Bedächtigkeit machen ihn zum Außenseiter, der nicht einmal die kurzfristigen Gemeinsamkeiten der Anderen kennt.

Kim Itoh findet eindrucksvolle Bilder für die Einsamkeit des Einzelnen, die sich auch im Menschenmassengetümmel nicht lindern lässt.

Birgit Schmalmack vom 16.11.02