Anne Frank


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Hoffnung besiegt die Angst

Ein nettes, allseits beliebtes, witziges 12-jähriges Mädchen wird aus seiner wohlbehüteten, glücklichen Welt in die raue Wirklichkeit des Jahres 1942 geworfen, als ihr Vater von der SS ersucht wird, vorstellig zu werden. Die ganze Familie taucht für fast zwei Jahre unter und versteckt sich im Hinterhaus des eigenen Betriebes. Berühmtheit erlangte ihre Geschichte durch den eloquenten, feinsinnigen Bericht des zur Frühreife gezwungenen Mädchens. Fast jedem wird "Das Tagebuch der Anne Frank" in seiner Schulzeit begegnet sein. Ulrich Waller hat mit der Schauspielerin Caroline Ebner in den Kammerspielen in Zusammenarbeit mit dem schauspielhannover ein Stück daraus entwickelt, das eine neue Seite dieses interessanten jungen Mädchens beleuchtet; auf der Rückseite des Tagebuches fanden sich Prosastücke, die es als talentierte Nachwuchsautorin ausweisen.

Die 31-jährige Caroline Ebner schlüpft in die Rolle des 12-15-jährigen Kindes, wie dieses in die viel zu großen Erwachsenenkleider. Früh vernünftig geworden muss sie sich von ihrer bisherigen, selbstkritisch erkannten Oberflächlichkeit verabschieden. Mit fast unerschöpflicher Kraft und Stärke redet sie sich immer wieder Mut zu. Ihr Untertauchen versucht sie als Abenteuer zu sehen, dass sie reif und erfahren machen wird und ihr einen Vorsprung vor Gleichaltrigen bescheren wird. Wer Mut und Vertrauen hat, wird nicht untergehen. Daran glaubt sie fest. Doch Ebner zeigt auch die andere Seite. Immer wieder könnte Anne zerplatzen vor lauter verzweifelter Sehnsucht nach allem, was einst so selbstverständlich und jetzt so unerreichbar ist. Neuen Mut findet sie dann im Schreiben. Nicht nur indem sie das Erlebte festhält, sondern indem sie sich in Fantasiegeschichten mal nach Amerika, mal nach Russland, mal in eine Filmstarkarriere, mal in die ruhige Natur flüchtet, in der es keine Angst und Enge mehr gibt. So nutzt sie ihr ungewöhnliches Sprachtalent, um die unerträgliche Situation zu überstehen.

Caroline Ebner macht den Abend zu einen fesselnden Theatererlebnis und benötigt dazu wenig mehr als ihre Stimme, leise, vorsichtige Bewegungen und ihre beredte Mimik und Gestik. Die Bühnenausstattung (Ina Reuter) beschränkt sich auf ein spartanisches Gitterbett, ein paar Frisierutensilien, einen Tisch und Stuhl mit Schreibzeug vor zwei meist abgedunkelten hohen Altbaufenstern. Verschmitzt, kess, leicht arrogant, widerspenstig, eigenwillig und übermütig ist sie. Und kann im nächsten Moment in tiefe Verzweiflung und Trostlosigkeit stürzen. Sie ist unsicher und zaghaft und gleich darauf neugierig und selbstbewusst. Ebner versteht im Alleingang alle Gefühlsmomente dieses außergewöhnlichen Mädchencharakters in sensibler Nuancierung lebendig werden zu lassen.

Birgit Schmalmack vom 17.1.03