Liebe Kannibalen Godard


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Kritik
von
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Das Monster der Gattung Mensch

Wenn der Mensch zur Ware wird, weil sein einziger Sinn darin besteht zu konsumieren, verliert er seine Eigenschaften, die ihn als moral- und vernunftbegabtes Lebewesen auszeichnen. Doch er wird nicht bloß zum Tier, sondern zum Monster. Er ist nicht nur von instinktgesteuerten Regeln geleitet, sondern folgt ganz seinen eigenen momentanen Gelüsten. Er wird zum Kannibalen, zum Menschenfresser. Tabus gibt es für ihn nicht mehr. In ihrer Übertretung liegt keine Revolte, keine Rebellion sondern das genaue Gegenteil: die völlig Zielleere.

Diese höchst aktuelle Beschreibung einer marktorientierten, globalisierten Welt stammt nicht aus dem Jahre 2006 sondern von 1967, als Godard seinen Film "Weekend" drehte. Roland und seine Frau Corinne brechen zu ihren Eltern auf. Der Vater liegt im Sterben. Endlich können sie das lang ersehnte Erbe antreten. Doch die Fahrt wird zu einer Reise in den Alptraum ihres ausgedörrten Inneren. Sie, die nur dem Geld hinterher jagen, geraten in einen Krieg der Autos auf der Autobahn, beseitigen skrupellos die Menschen, die ihnen den Weg versperren, und geraten schließlich in die Hände von Kannibalen, die Roland erschießen. Corinne weiß durch perfekte Anpassung zu entkommen: Genüsslich verspeist sie die angebotenen Fleischteile und beißt schließlich herzhaft in das noch pulsierende Herz ihres Gatten.

Nach dem Theatertext von Thomas Jonigk hat Stefan Bachmann eine trickreiche Inszenierung des Filmstoffes auf die Bühne des Thalia in der Gaußstraße gestellt. Verweise auf aktuelle politische Entwicklungen schlagen den Bogen von Kapitalismus, Globalisierung, Ausbeutung unterdrückter Völker zur Verrohung der menschlichen Seelen. Die Botschaft dieses Stückes wird eindeutig und klar logisch deutlich gemacht. Mit diffusen Differenzierung und Zwischentönen wird keine der Aussagen verwässert. So erscheint der Terrorismus die einzig logische Antwort auf den fortschreitenden alles Menschliche verschlingenden Kapitalismus des Westens. Klare Worte auf der Bühne, die durch die eindeutige moralverachtende Handlung bebildert werden.

Höchst politisches, Diskussion anregendes Theater.

Birgit Schmalmack vom 16.10.06