Beeindruckendes Psychogramm

"Machen Sie schnell mit Ihrer Untersuchung, sonst geht's an Ihre Nerven," rät Fritz Haarmann (Christian Redl) seinem psychiatrischen Gerichtsgutachter (Peter Franke), als dieser wie der Zuschauer sichtlich geschockt über die Enthüllungen erscheint. Zum Glück dehnt Regisseur Ulrich Waller in seiner geschickten Inszenierung des "Totmachers" die schwer verdaulichen Ermittlungen über die Taten des Massenmörders aus Hannover nicht unnötig in die Länge. Aber auch in dieser konzentrierten Form geht das Gesehene und das Gehörte dem Zuschauer an die Nerven. Immer wenn der Bühnenvorhang wie ein Fallbeil nach unten saust, gönnt Waller ihm eine kleine Besinnungspause.

Redl ist ein herzangreifender Haarmann, dessen kindliches Gemüt Mitleid wachrufen kann. Er vollbringt das Kunststück, diese Bestie fast sympathisch werden zu lassen. Wenn er Tränen in Erinnerung an seinen überaus strengen Vater vergießt, kann man seinen Psychiater verstehen, der einen kurzen Moment lang das Bedürfnis verspürt ihn tröstend in den Arm zu nehmen. Doch zu gut hat dieser noch die Schilderungen Fritzens von der Zerstückelung und Beseitigung der über zwanzig Jungenleichen im Ohr, die eigentlich auf Haarmanns Gewissen lasten müssten, wenn er nur wüsste, was das ist.

Redl spielt einen zwiegespaltenen Menschen, der immer noch glaubt, dass er nach seiner Hinrichtung in den Himmel zu seiner geliebten Mutti kommen wird, aber gleichwohl die Zehn Gebote genau kennt. Er weiß genau: Das darf man nicht. Aber er weiß auch: Eigentlich bin ich doch ein guter Mensch.

In der Bühne von Götz Loepelmann, die nur ein enges metallumschlossenes Areal als sich zuspitzenden Aktionsraum für das Kammerspiel der Beiden zur Verfügung stellt, wird ein Psychogramm erstellt, dass den Zuschauer beeindruckt und bedrückt entlässt. Zu verdanken ist das der sensiblen, zurückhaltenden Regieführung Wallers und dem herausragenden und überzeugenden Spiel des exzellenten Schauspielers Christian Redl.

Birgit Schmalmack vom 12.10.01