Jekyll & Hyde - Kampnagel


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Risikoreiche Identitätssuche

In einem Parkettquarree steht eine junge Frau mit dem Telefonhörer in der Hand. Sie hat sich auf eine Anzeige hin gemeldet. "Die Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss", weiß Evi. Sie erinnert sich jedoch nur das Bild vom Ende. Und einen Namen: Jekyll. Diese Informationen spricht sie in den Hörer und lädt ihren Gesprächspartner in ihr Kabinett ein. Vielstimmig sind die Antworten: Gleich vier Vertreter des Wissenschaftlers Jekyll stürmen auf die Bühne und versuchen die Schriftzeichen auf der Bühne im ultravioletten Licht zu entziffern, um die fehlenden Teile der Geschichte zu rekonstruieren.

Der Professor war bei seinen Forschungen einem Geheimnis auf der Spur: die Abgrenzungen zwischen dem Guten und Bösen im Menschen. Aus dem riesigen Kopftopf seiner Forschung zieht er eine Brille mit angeklebter Nase und Schnurrbart heraus. Sie verwandelt ihn in Hyde. Endlich traut er sich in das Kabinett zu Evi. Durch die mobile Tür, die ihn sonst verborgen hielt, tritt er in das Zimmer. Der Londoner Regen tröpfelt durch alle Ritzen. Langsam löst sich nicht nur Jekylls Persönlichkeit auf, sondern auch der Boden, auf dem alle stehen. Das Parkett ergibt sich in seine Bestandteile und die Menschen schlittern auf ihren Begierden aus. Hyde hat die Regie übernommen. Dennoch sagen die vier Jekyll-Hydes immer noch, während sie auf den Anderen zeigen: "Er war es, ich war es nicht." Zum Schluss werden die vier hinter der Tür liegen: Erschlagen von Hyde.

Die Geschichte hat ihren Anfang, Mitte und Schluss gefunden.

Die vierte Diplominszenierung des Jahres 2011 war von ästhetischer, inhaltlicher und inszenatorischer Stringenz. Sie extrahierte aus der Geschichte von Robert Louis Stevenson die Fabel der Identitätsfindung und übersteigerte die Fragehaltung durch Vervierfachung des Protagonisten in zwei männliche und zwei weibliche Verkörperungen. Das Bühnenbild schuf einleuchtende sprechende Bilder. Die Schauspieler gingen mit Witz und Ironie an die Arbeit am Menschen. Inspirierende Arbeit von Christopher Rüping.