Bis zum Äußersten


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Grenzen der Moral

"Ich war selber schuld. Aufgetakelt wie Schneewittchen!" Mit dieser provozieren Aussage beginnt "Extremities" im Monsun Theater. Im Chor berichten die Theatercompany "La Vie - das Leben" sachlich von einer Vergewaltigung, die der jungen Frau später keiner glauben wird.

Majorie wird von einem Mann in ihrem Haus überfallen, bedrängt, beleidigt und gedemütigt. Black. Sie hängt waagerecht auf einem der zahlreichen Stühle, ihr Kinn wird im Würgegriff von dem Mann festgehalten, der sich bequem auf einem der umgekippten Stühle hingelegt hat. Black. Ihre abwesenden zwei Freundinnen, mit denen sie das Haus bewohnt, versuchen die Wände an den Lampengerüsten zu erklimmen. Black. Als die angedrohte Vergewaltigung kurz bevorsteht, greift Marjorie zum Parfüm und sprüht es dem Mann in die Augen. Black. Er findet sich eingesperrt im Kamin wieder. Black.

Bis zum Äußersten will Majorie gehen. Sie will Rache, um ihre Angst zu bändigen. Ihre bisherigen Maßstäbe sind nichts mehr wert. Zielstrebig greift sie zur Selbstjustiz.

In kurzen Szenen erzählt die Theatercompany aus Dresden das Geschehen nach dem Spielfilm des amerikanischen Autors Mastrosimone. Minutenschnell kann sich das Blatt zwischen Täter und Opfer wenden. Marjorie will sich aus ihrer Ohnmacht befreien und fordert die unbedingte Solidarität ihrer inzwischen heimgekehrten Freundinnen ein. Der Mann versucht die beiden geschickt auf seine Seite zu ziehen. Erst als Majorie zu denselben Mitteln greift wie er zuvor, bricht dessen Fassade zusammen und er gesteht.

Brillant agieren die vier Schauspieler (Juliane Beier, Paul Voigt, Tine Hagemann, Anika Lehmann) mit nichts als einem guten Dutzend Stühlen auf der Bühne. Sie erschaffen Welten, die so stark berühren, dass die Spannung zum Teil kaum auszuhalten ist. Das Band, das Täter und Opfer verbindet, wird nie wieder zu kappen sein. Ein einfacher Strick, an dem beide ziehen, wird zum sinnigen Symbol. Die Theatercompany aus Dresden arbeitet mit einer körperbetonten Theatersprache und findet wunderbar eindrückliche Bilder für das tödliche Spiel um Macht und Ohnmacht.

Birgit Schmalmack vom 20.10.10