Ruhestörung ein Anfall


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Die alltägliche Lärmfolter

Der zu Hause arbeitende Mieter wird der Ruhestörung wegen eines Schreis angeklagt, doch er selbst begreift sich als das eigentliche Opfer einer ständigen Ruhestörung. Ausgeschlossen von der lärmenden Volksmehrheit setzt er zur Verteidigungsrede an: Der deutsche Fleiß legitimiere sich durch jede Form der handwerklichen Tätigkeit, ganz besonders durch den Gebrauch von lauten Maschinen.

Denkende Tätigkeiten dagegen seien dem Deutschen von Natur aus suspekt, da sie leise von statten gingen. Und wenn das laute Tagwerk des Deutschen sich zu Ende geneigt hat, dann geht er seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Er guckt Fernsehen. Von allen Seiten dröhnen nun der Aufmerksamkeit fordernde Moderatorenton der Talkshows oder die immer zu erwartenden Klänge der Volksmusik-Hitparade.

Als Städter sei man einem Grunddröhnen ausgesetzt, das das Gehirn in ständige Vibrationen versetze. Der Staubsauger im Hausflur, die Schlagbohrmaschine, der bellende Hund, der Laubsauger, die Kreissäge, jede dieser Ohrenfoltermaschinen unterbreche denkende Tätigkeiten.

Urteilen Sie selbst, meint Rolf Bach nach seinem engagiert vorgetragenen Monolog im Thalia N.N. Immer wieder ertappt sich der Zuschauer dabei, wie er die Fronten wechselt. Regisseur Dieter Seidel schafft es, dass er sich mal zu den Ruhestörer und mal zu den Gestörten zählen muss. Mal ist er der Überzeugung, dass der Mann mit seiner Analyse der Gesellschaft völlig zu Recht einen Schreikrampf bekommten hat und mal, dass er wohl doch schon zu lange alleine zu Hause verbracht habe, um noch als völlig normal gelten zu können.

In Eugen Ruges Text entdeckt sein Verlag stellenweise Thomas Bernhard-Qualitäten: "Ruhestörung ist eine Systemkritik an einer Gesellschaft, die sich rücksichtslos den Maschinen und ihren Geräuschen ausgeliefert und die menschlichen Töne ausgemerzt hat." Um den Grantler Bernhard wieder zu erkennen, ist der Schauspieler Rolf Bach aber eine Spur zu sympathisch, jugendlich und flott besetzt. So geraten die gesellschaftskritischen Anmerkungen Ruges im Theater N.N. weniger abgründig als vielmehr unterhaltsam.

Birgit Schmalmack vom 20.1.11