Stilles Meer, Staatsoper

Stilles Meer, Staatsoper



Recht auf Trauer

Eine durchscheinende Scheibe steht quer im Raum, eine schmaler Steg führt von ihr weg in Nichts, Neonröhren strahlen in vertikalen, parallelen Streifen auf die Bühne.
Eine blonde Frau im hellen, weit schwingenden Kleid steht alleine auf dem Steg und blickt in die Ferne. Die Deutsche Claudia hat ihren japanischen Mann und ihren Sohn verloren. Der Tsunami, der die Reaktorkatastrophe in Fukushima auslöste, entriss ihr die Liebsten. Sie kann nicht loslassen, denn sie durfte nicht nach den Leichen suchen; das Gebiet wurde zu Gefahrenzone erklärt, in die keiner der Angehörigen Zutritt bekam. Ihr Ex-Mann und Vater des Sohnes ist nach Japan gekommen, um der Beerdigung beizuwohnen und seine Ex-Frau nach Deutschland zurückzuholen. Doch sie will am Ort ihrer Trauer bleiben.
Die Oper von Toshio Hosokawa, ein Auftragswerk für die Staatsoper Hamburg, beruht auf einer Neuschreibung einer NO-Oper, in der ebenfalls eine Mutter, die um ihr Kind trauert, im Mittelpunkt steht. Diese kann in einer Zeremonie, in der ihr ihr totes Kind erscheint, endlich Abschied nehmen. Claudia bleibt dies verwehrt. Max erscheint ihr nicht.
Flirrende, in der Schwebe bleibende Klangteppiche umgeben die vollen Stimmen der drei Hauptpersonen. Wo der helle Sopran Claudias (Mojca Erdmann) in hohen Tönen ihren Schmerz hinaussingt, versucht ihr Ex-Mann (Bejun Mehta) in wohl tönenden, beruhigenden Klängen ihr Vertrauen zu erringen. Die Schwester des toten Ehemannes Haruko (Mihoko Fujimura) bewahrt Haltung - in warmen Alt versucht sie die Schwägerin der Vergangenheit zu entreißen.
Ein stimmiges, kleines, mit kluger und klarer Ästhetik inszeniertes Werk, das der Trauer einen Raum gibt und das Recht auf eine Wirklichkeit jenseits der Effektivität einfordert.
Birgit Schmalmack vom 11.2.18


Stilles Meer, Arno Declair

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