Babylon, Hamburger Puppentheater

Babylon, Hamburger Puppentheater

Göttliche Komödie

"Hier ist deine Hilfe gefragt", mahnt der Ober-Engel an. Doch Gott ist ratlos. Er hat gerade von seinem Boten erfahren, dass sein Sohn zum zweiten Mal auf die Erde kommen will. Jesus hält die Zeit für einen zweiten Rettungsversuch gekommen. Doch Gott weiß, dass es auch dieses Mal schief gehen wird. Doch wie soll er Jesus retten? Er ahnt, dass er seine Macht schon längst verloren hat. So reist er zu seinem Sohn.
Er trifft Jesus kurz vor seiner Abreise übers Meer ins verheißungsvolle Babylon. So wie er wollen sich auch viele andere aufmachen. Die alte Frau mit den gefalteten Händen, die ihren Sohn wieder finden will. Der schwarze Junge, der seine Familie verloren hat. Der Priester, der ihn gerettet und dabei seine Zunge eingebüßt hat. Der Mann mit seinem Hund, den er mit an Bord schmuggeln will. Alle reden sie auf den Kapitän ein und versuchen noch einen Platz zu bekommen. Doch das Boot ist voll. Der abgebrühte Schlepper schüttelt beständig den Kopf.
Gott erweist sich zwar als machtlos, aber Jesus wird trotzdem vor dem sicheren Tod gerettet. Das hat er ausgerechnet einem Schaf zu verdanken. Seine flauschige Gefährtin Blinky weigerte sich mit aller Vehemenz an Bord zu gehen. Einzig das Schaf besaß genügend Instinkt für das Risiko der Reise nach Babylon.
Der Australien Neville Tranter vom niederländischen Stuffed Puppet Theatre ist ein Meister auf der Puppentheaterbühne. Seine selbst angefertigten Puppen sprechen schon Bände, bevor sie überhaupt ein Wort durch seinen Mund gesprochen haben. Tranter weiß mit einer winzigen Kopfbewegung seiner Figuren eine ganze Szene zu erzählen. Obwohl er in jedem Moment auf der Bühne neben seinen Puppen zu sehen ist, verschwindet er vollkommen hinter seinen Figuren. Er kann den Fokus der Zuschauer so lenken, dass alle Augen auf die Puppen gerichtet sind und er unsichtbar wird. Doch welch ein Wandel setzt ein, wenn er selbst mitspielt und die Rolle des (sprachlosen!) Priesters übernimmt. Plötzlich steht er wieder im Mittelpunkt des Geschehens, nur weil die Puppe ihn anblickt. Bei Tranter sitzt jede Gestik, jeder Tonfall, jedes Geräusch. So wird seine Geschichte über ein Flüchtlingsdrama, in dem Gott als ohnmächtiger Beobachter am Rande steht, beim Gastspiel im frisch renovierten Hamburger Puppentheater zu einer liebvollen, hintergründigen und unterhaltender Allegorie auf menschliches Versagen.
Birgit Schmalmack vom 24.9.19


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