Theater der Nacht, Lichthof

Theater der Nacht, Lichthof


Versuch in das Zwischenreich der Nacht zu gelangen

Jeder Versuch Licht ins Dunkle zu bringen, wird im Laufe dieses Abends immer wieder misslingen. Kaum scheint ein Gedanke, ein Handlungsstrang, eine Persönlichkeit greifbar zu werden, verwischen sie auch schon wieder hinter einem der zahlreichen Vorhänge, die sich zwischen die Wirklichkeit und ihrer dreifach verschobenen Abbildung als Schattenwurf schieben. Der Abend "Theater der Nacht" versetzt den Zuschauer in ein Zwischenreich des Traumes.
So wie der Künstler (Hannes Becker), der in seinem Zimmer den Gespenstern, die sich im Dunkeln versteckt halten, nachzuspüren versucht, so jagen Vasna Aguilar und Lukas Gander ihren Selbst- und Fremdbildern hinterher. Manchmal auch einer möglichen Beziehung zwischen ihnen beiden. Doch mit wem sie diese Beziehung eigentlich pflegen, bleibt auch ihnen selbst unklar. Mit den Vorstellungen vom anderen? Mit dem Schatten ihrer selbst im Bild des anderen? Mal steht der eine Schatten übergroß neben dem kleinen Partner und zeigt mit dem Zeigefinger auf ihn herunter. Mal steht der eine vor der Leinwand, der andere als sein Schatten hinter ihr. Bist du da? lautet immer wieder die Frage. Hörst du mir zu?
Henri Hüster entwirft in seiner neuen Arbeit am Lichthof (nach Rainald Goetz’ Roman "Irre" und Klaus Heinrichs Text "Versuch über die Schwierigkeit Nein zu sagen"), die schon neue Formen wagten, jetzt die Auflösung aller Erzählungsgewissheiten. Das ist ästhetisch sehr gekonnt und virtuos umgesetzt. Die Bilder, die durch die souveräne Choreographie von Vasna Aguilar vor und hinter den Vorhängen entworfen werden, sind von bildstarker Ausdruckskraft. Die sehr lose Aneinanderreihung der Texte (z.T. von Ilse Aichnger, Hannes Becker und Henri Hüster) greifen so viele mögliche Fäden auf, dass sie verwirren. Geht es um einen alternden Künstler, wie Hannes Becker zu Beginn verrät? Geht es um einen Schuster, der sich in seinen Schatten verliert? Geht es um ein Liebespaar, dass um die Deutungshoheit der eigenen Geschichte ringt? Geht es um das Making-Off von Schattentheater in der Tradition Chinas?
Hüster huldigt dieses Mal dem Auflösen aller Gewissheiten. Jedes Mal, wenn ein Faden des Verstehens sich ergreifen ließe, wird er schon wieder zerrissen. So sollte man sich einfach in das Reich der Traumwelten entführen lassen, sich an der Schönheit der Schattenbilder erfreuen und sich als ein Besucher eines "Theater der Nacht", in der alle Plausibilitätsgesetze aufgehoben sind, fühlen. Das Verstehen-Wollen der Texte würde den Zuschauer nur in die Lage eines Schlafenden versetzen, der von seinem Weckerklingeln aus dem Traum gerissen wird und nun versucht, aus seinen Traumfetzen einen Sinnzusammenhang zu erzeugen, und daran scheitern muss.
Birgit Schmalmack vom 6.11.19


Theater der Nacht im Lichthof Fotos (c) Marie Sturminger, Christine Grosche & Maximilian Arntzen

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