Kleinbürger, Deutsches Theater

Kleinbürger


Salonrevolutionen

Wie auf dem Präsentierteller agieren die kleinen Bürger bei Jette Steckel. Ein rundes Podest ist mitten in den Wüstensand gesetzt. Von ihrem Salon sind nur eine Reihe Stühle übrig geblieben. Über ihnen thront eine Lenin-Statue mit ihrem gerecktem Arm. Doch sie dreht dem Publikum den Rücken zu.
Eigentlich gibt es so viel zu tun, das zu einer Revolte, zu einem Aufstehen Anlass bieten würde. Doch die „Kleinbürger“ versinken in ihrem Kreisen um die eigenen Regeln, Befindlichkeiten und Eitelkeiten.
Einzig Nil (Felix Goeser) will sich nicht damit abfinden. Er wird einen seiner Auftritte dazu benutzen, das Publikum zum Aufstehen für die Veränderung zu bewegen. Er wird nicht müde in dem Aufzählen der Gründe: die Bankenkrise, die Unsicherheit der Atomkraftwerke, die Schere zwischen Arm und Reich, die Staatsbankrotte, die Klimaerwärmung... Er erreicht, was er wollte: Die Zuschauer stehen auf.
Doch auf der Bühne findet er weniger Mitstreiter: Die junge Witwe Jelena (Katrin Wichmann) macht eher aus Neugier als aus moralischem Impetus beim Straßentheater mit und seine Freundin Polja (Olivia Gräser) pflichtet ihm mehr aus Liebe denn aus eigener Überzeugung bei. Alle anderen im Hause Bessemjonow sind viel zu sehr mit sich beschäftigt. Der Vater (Helmut Mooshammer) hält seine Kinder Tatjana (Natali Seelig) und Pjotr (Ole Lagerpusch) mit seiner Unzufriedenheit an ihrem Werdegang in Schach. Immer wieder weist er sie auf ihre Unzulänglichkeiten hin: Tatjana ist zwar Lehrerin aber immer noch unbemannt und Pjotr ist aus der Uni geworfen worden. Sie revanchieren sich mit nur mühsam verhohlener Ablehnung seiner Lebensziele. So ist für ständige Streits gesorgt, die die Mutter mit ihrem frauenrollengemäßen Harmoniewunsch nicht überbrücken kann.
Der trinkende Kirchsänger (Peter Jordan) hat ein Interesse an Polja und kommt häufig zu Besuch. Mit kleinen einkästelnden Handbewegungen beschreibt er die Lebensvorstellungen der Leute: Sie bauen Häuser, sie bauen Gartenhäuser, sie bauen Einbauküchen und so bauen sie sich ihre Welt in immer kleinere Schachteln, in die sie ihre Lebenszeit verstauen, bis kein Freiraum mehr übrig bleibt.
Jette Steckel holt den Text von Gorki nach Berlin ins Heute. Auf der Rückwand werden die Schauspieler in ihren Privatwohnungen eingeblendet. Sie lesen in alten Tagebüchern, sie telefonieren mit ihrer Großmutter, die sich eine baldige Heirat wünscht, sie räsonieren über die Zukunftswünsche ihrer Eltern, sie berichten über ihre Vorstellungen von einem glücklichen Tag. Das lässt der Text von Gorki gut mit sich machen, wie auch schon „Kinder der Sonne“ in der Regie von Kimmig bewies. Steckel geht mutiger und forscher zur Sache und persönlicher. Sie wagt das Theater wieder als Ort des gesellschaftspolitischen Aufrufs zu inszenieren, wenn auch nur durch Nil. Ihr wird natürlich klar sein, dass sich die Zuschauer nach dem Schlussapplaus eher ein Beispiel an den übrigen Bessemjonows nehmen und in ihre eigenen kleinen Problemwelten zurückkehren werden.
Birgit Schmalmack vom 16.10.11


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