Alles Lüge
Jessika (Katharina Marie Schubert) und Hugo (Ole Lagerpusch) sind ein eingespieltes Paar. Sie springen in ihrer Beziehung von einer Rolle in die nächste. Auch wenn einer von ihnen immer mal wieder kurz zur Ernsthaftigkeit aufruft, lässt der nächste Joke nie lange auf sich warten und die beiden brechen erneut in Gelächter aus. Doch Hugo ist dieser unterhaltsamen, aber belangslosen Comedyshow seines Lebens schon lange überdrüssig. Er sucht nach Inhalten und Idealen, für es sich einzustehen lohnt. Er hat sich der Partei der Proletarier angeschlossen, die für große kommunistische Weltrevolution steht. Bedingungslos will er sich in ihren Dienst stellen. Dass man ihn zunächst als Schreiber einsetzt, passt ihm gar nicht. Er will kein Intellektueller sein, er will etwas tun. Also schickt ihn die Partei als Sekretär zu Parteilführer Hoederer (Ulrich Matthes), der sich von den Zielen der Partei abgesetzt hat, nun kompromissbereite, eigene Machtambitionen verfolgt und dafür liquidiert werden soll. Zu diesem Zweck werden Jessi und Hugo bei Hoederer einquartiert. Doch Hugo ist von diesem charismatischen Mann so angetan, dass er seine Tat immer weiter hinausschiebt. Nur durch ein weiters Spielchen seiner Frau drückt er dennoch den Abzieher. Die Wandstücke auf der Bühne drehen sich wie ein Mahlwerk der Geschichte. Die Menschen werden wie von Zahnrädern ausgespuckt, verschluckt, verschoben und gehetzt. Immer wieder bietet es neue Räume, öffnet Gänge, verschließt Türen und lässt begrenzende Wände wachsen. Hugo sucht auf der Suche nach jemanden, der an ihn glaubt. Er ringt um Vertrauen und doch er tut alles, damit dies nicht geschieht; zu groß ist die Angst vor Enttäuschung. Mit seiner Frau spielt er nur Spielchen. Und nun soll der den ersten Mensch, der ihm zu vertrauen scheint, umbringen. Denn obwohl der kluge Hoederer bald ahnt, dass Hugo sein Attentäter sein wird, beschenkt er ihn dennoch mit Offenheit und Wahrhaftigkeit. Jette Steckel stellt in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung nicht den ideologischen Konflikt um die politischen Auffassungen sondern die Suche nach Wahrheit. Diese muss scheitern, weil genau diese Wahrheit keine Ausflüchte mehr gestattet. Hugo fürchtet sich zutiefst vor dieser Eindeutigkeit. Er liebt die Spielchen der Belanglosigkeit, in denen alles möglich ist. Das zunehmende Gefühl der Leere und Langeweile, das sich genau deswegen in ihm ausbreitet, lässt ihn ein williges Opfer für die Dogmatik der Parteiideologie werden. Jette Steckel holt damit das Stück von Paul Satre in die Gegenwart. In einem Klima der Beliebigkeit, der Dauerevents, der Spaßberieselung gedeihen Ideologien mit strikten Handlungsanweisungen, die das eigene Denken nicht benötigen, hervorragend. Ein Blick in die täglichen Nachrichten kann ihre These leicht bestätigen. Dass sich zum Schluss des Stückes auch die Gründe für Hugos Tat als von der Geschichte längst überholt herausstellen, ist nur ein weiterer Seitenhieb auf die zahlreichen Ismen, die während des Stückes über die Wandstücke huschen und ebenfalls von der Vergangenheit zermalmt wurden. Birgit Schmalmack vom 16.10.14
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