Othello, Theaterdiscounter

Zur Kritik von

tagesspiegel 
 
 


Othello



Ich bin nicht der Einzige

Die Tragödie um das große Liebespaar Othello (Jochen Weichenthal ) und Desdemona (Elena Manzö ) kennt man: Othello ist der hochemotionale aufbrausende Fremde, der in seiner Eifersucht jeder Vernunft unzugänglich ist und seine geliebte Frau ermordet. Diese wiederum ist das ausgelieferte Opfer in dieser Tragödie. Doch man kann dieses Drama heute auch anders lesen, wie Fabian Gerhardt am Theaterdiscounter beweist.
Bei ihm ist Desdemona die dunkelhäutige Fremde und der Kriegsheld Othello der erfolgreiche Bio-Weiße. Dieser verliebt sich in die schöne, rassige Frau. „Stand by me,“ wünscht er sich in seinem ersten Song. Sie will ihm, ihrer großer Liebe, überall hin folgen, sogar in den Krieg und sogar gegen den ausdrücklichen Willen ihres Vaters. Dieser würde ihr gerne das Leben als Fremde unter Fremden ersparen. Doch Desdemona will alles riskieren für ein Leben mit Othello.
Ein Spiel mit den Identitäten und Geschlechtern ist das Inszenierung von Gerhardt. Seine Kriegsherren kommen in macho-kompatiblen Jogginganzügen und mit Goldkettchen daher, Desdemona dagegen im scharfen Samtminikleid zu schwarzen, knöchelhohen Sneakers. Die vier Darsteller schlüpfen in alle Rollen des Stückes, unabhängig vom Geschlecht. Männliche und weibliche Rollenklischees werden so geschickt hinterfragt. Desdemona ist hier nicht das arme Opfer sondern die taffe Powerfrau, die für ihre Ziele alles wagt. Dagegen kommt der wohlbeleibte Othello als Wüterich in Teddybärformat daher, der beim Anblick des Lächeln seiner Geleibten wie Eis in der Sonne zerschmilzt. Solange jedenfalls bis der Ränkespieler Jago (Fabian Raabe ) noch keine Verdächtigungen in Othellos Ohr zu geträufelt hat. Doch dann fällt er auf die „Warnungen“ seines vermeintlichen Freundes herein und beginnt Desdemona zu misstrauen. Als das Feuer der Eifersucht in ihm brodelt, kann er nicht eher ruhen, bis er den vermeintlichen Konkurrenten Cassio (Anton Weil) und seine Ehefrau ausgeschaltet hat. Immer wiederholt den Satz: „Ich bin nicht der Einzige!“. Seine Einsicht, bevor er mit dem letzten tödlichen Griff zudrückt: „Nur weil ich Othello bin und du Desdemona, muss ich dich doch nicht töten“, kommt leider zu spät. Leblos hängt sie da schon in seinen Armen. Als Jago ihm am Schluss bestätigt, dass er ihm nur stets das gesagt hätte, was er hätte hören wollen, fällt er in sich zusammen und es ist klar, wer hier das Opfer ist. Desdemona rappelt sich auf, blinzelt in das Scheinwerferlicht und geht von der Bühne. Die Männer haben ihre Chance bekommen und sie nicht genutzt.
Gerhardt hat einen längst überfälligen Blick auf das altbekannte Drama mit seinem klischierten Rollenzuschreibungen und Rassismus gewagt. Sein Experiment ist geglückt. Die frische Textfassung (von Stefan Wipplinger), die energiegeladenen jungen Schauspieler und die gekonnte Schauspielerführung machen den Abend überaus sehenswert.
Birgit Schmalmack vom 27.7.15



Herz der Finsternis, Heimathafen

Druckbare Version