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Das richtige Maß

Die ersten Szenen versprechen einen unterhaltsamen Abend. Ein donnernder Hubschrauber fliegt ein und wirbelt dem Herzog(Stephan Schad), Angelo (Norman Hacker) und seinem Assistenten den Straßendreck auf die sauberen Anzüge. Der Herzog entschwindet und überlässt seinem Stellvertreter seine Arbeit. Welcher Art sie sein wird, verraten die drei Gestalten, die danach auf die Bühne stolpern: Eine Nutte, ihr Zuhälter und ein Freier. In typisch norddeutschem, dürftigen small-talk illustrieren sie den Teil der Wiener Gesellschaft, von dem Angelo die Stadt reinigen soll und will. In heiliger Mission ist er unterwegs: Angetreten um dem Sittenverfall durch harte Strafen Einhalt zu gebieten. Gerade hat er Claudio (Koslowski), der seine Freundin geschwängert hat, zum Tode verurteilt. Seine Schwester (Maren Eggert), die Klosternovizin Isabella, erscheint um bei Angelo um Gnade für ihren Bruder zu bitten. Angelo ist hingerissen von der sittsamen Schönen, die auch bei ihm, dem strengen Sittenwächter ungeahnte Lüste, Wünsche und Triebe aufkommen lässt. Entsetzt über seine allzu menschlichen Züge windet er sich nach ihren Abgang auf dem hölzernen Bühnenteller in seiner Gewissensnot. Reinwaschen will er sich von seiner Begierde. Mit dem schneeweißen Pullover und der schwarzen Anzughose schrubbt er den rauen Boden. Er liegt ganz entblößt da, als Isabella zurückgekehrt. In dieser Lage sind Heimlichkeiten überflüssig: Er offenbart sich ihr in seiner Begierde. Diese wendet sich angewidert ab. Ein Besuch im Gefängnis bei ihrem Bruder soll ihr zeigen, dass auch er ihre Ehre wichtiger findet als sein eigenes Leben. Doch Claudio fürchtet den Tod. Mit wenig christlichen Worten macht Isabella ihrer Wut Luft und verflucht ihren Bruder.

Währenddessen hat sich der Herzog in einen Geistlichen mit dickem goldenem Rapperkreuz auf der bloßen Brust verwandelt und schmettert wie ein Popstar alte Elvis-Songs. Als Strippenzieher im Hintergrund kann er die Geschicke in die richtige Richtung lenken. So führt er Angelo seiner einst sitzen gelassenen Verlobten wieder zu, rettet Claudio vor dem sicheren Tod und arrangiert auch für sich selbst eine kleine Belohnung für so viele gute Taten: Am Ende klemmt er sich die schöne Nonne unter den Arm und hebt mit seinem Präsidentenhubschrauber mit ihr in den Thalia-Himmel ab.

Stephan Bachmann hat eine sichere Inszenierung des Shakespeare-Klasikers am Thalia vorgelegt. Klug gekürzt und auf die wesentlichen Kernaussagen konzentriert gelingt ihm eine kluge, humorvolle Parabel auf die Machtspielchen früherer und heutiger Politiker. Er entlarvt die Doppelmoral und Selbstgefälligkeit von Politiker, die nur durch die Krawatte zum Würdenträger werden, en passant durch die klug gewählten Doppelbesetzungen. Auf das auf hohem Niveau spielende Ensemble, aus dem Stephan Schad, Norman Hacker, Jörg Koslowski und Alexander Simon herausragen, kann er sich dabei jeder Zeit verlassen.

Birgit Schmalmack vom 1.1.08