Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes



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Hilfe zur Selbstverwirklichung

Der Abend wäre eine Katastrophe gewesen, verrät der Gastgeber gleich zu Beginn. Der Abend sollte ein lang ersehntes Wiedersehen feiern: Sechs Jahre hatten sich die beiden befreundeten Arzt-Ehepaare nicht gesehen. Sechs Jahre war das eine Paar in der Entwicklungshilfe auf afrikanischem Boden tätig. Für die zuhause Gebliebenen haben ihre Freunde einen hehren Traum verwirklicht: Sie haben selbstlose Hilfe geleistet. Doch deren Bilanz fällt ernüchternder aus: "Willkommen waren wir nicht überall." Nach sechs Jahren mussten sie schnell weg: Der Bürgerkrieg war ausgebrochen. "Hinterher fackeln sie sich vielleicht gegenseitig ab", meinen sie desillusioniert. Während die Einen resigniert von ihrem Reihenhaus-Vorgarten-Garagen-Lebensmodell erzählen, sehen die Anderen genau darin eine Form der einst möglichen, nun aufgrund des fortgeschrittenen Alters unmöglich gewordenen Verwirklichung.

Schimmelpfennig lässt die vier in einer Endlosschleife in Wiederholungen und Einschüben stecken bleiben. Hier an diesem Punkt der Mitte des Lebens stellt sich nicht mehr die Frage nach dem Lebensentwurf sondern nach der Lebensbilanz. Ab jetzt gibt es nur noch die Wiederholung und den Abstieg.

Die Vier auf der Bühne machen ihre Sache hervorragend. Gabriela Maria Schmeide ist eine herzenswarme, lebenskluge Frau, die sich an ihre positive Grundhaltung klammert. Oda Thormeyer ist die selbstmitleidige, resignierte, leicht hysterische Nur-Ehefrau und -mutter, die ihren verpassten Möglichkeiten hinterher trauert. Matthias Leja, ihr Ehemann, ist der personifizierte Spießer, der sich jede Sentimentalität verbietet. Tilo Werner gibt den coolen Lebemann, der jeder Bindung aus dem Weg zu gehen versucht. Auf ihren durchsichtigen Plastiksesselschalen sind sie statisch festgesetzt und umkreisen dabei immer wieder nur ihre eigene Mitte. Hinter ihnen schwebt eine bühnenhohe erleuchtete Erdkugel über die Bühne. Sie wird von ihnen nur von außen betrachtet. Selbst die Afrikareisenden scheinen immer nur auf die Frage der eigenen Selbstverwirklichung fixiert.

Schimmelpfennigs Auftragswerk "Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes" erinnert in seiner Grundkonstellation an sein früheres Stück "Calypso", bleibt aber gemessen an dessen bissiger Abrechnungsschlacht und giftigem Schlagabtausch unter viel Alkoholeinfluss verhältnismäßig zahm. Hier merkt man ihm den bemüht ernsthaften Auftragswerkcharakter zu dem vorgegebenen Thema "Afrika" an. Wilfried Minks lässt das Stück vom Blatt spielen und nutzt dennoch alle Möglichkeiten für beiläufigen Witz und zarte Ironie geschickt aus.

Birgit Schmalmack vom 2.12.10