Mutters Courage


Sonnige Tage des Schreckens

"Ich habe dir meine Geschichte erzählen. Jetzt erzählst du eine Geschichte über meine Geschichte. Doch es kann nicht dieselbe Geschichte sein." Schon seit seiner Kindheit schätzt Frau Tabori genau diese Fähigkeit an ihrem Sohn George: Er kann aus allem wunderbare Geschichten formulieren, die an Schönheit die Wirklichkeit bei weitem übertreffen. Die Geschichte über die Situation, in der seine Mutter Courage bewiesen hat, nutzt der brillante Geschichtenerzähler um seine Weltsicht, in der Realismus und Optimismus, in der Trauer und Lachen, in der Horror und Komik nur zwei Seiten derselben Medaille sind, überaus poetisch darzustellen.

Seine Mutter hat sich im Jahr 1944 ("Ein gutes Erntejahr für den Tod") ihr gutes Schwarzes angezogen, die weißen Handschuhe angelegt und ist zum wöchentlichen Rommespielen mit ihrer Schwester aufgebrochen, obwohl ihr Ehemann zuvor gerade verhaftet worden ist. Doch auf der Straße halten sie zwei Polizisten an, legen ihr Handschellen an und bringen sie zum Sammelplatz für die Deportation nach Auschwitz. Immer hat diese Frau versucht ein braves Mädchen zu sein, das von allen gemocht wird. Auch in dieser Situation hofft sie durch gutes, unauffälliges Betragen doch noch davon zu kommen. Doch genau das Gegenteil rettet sie schließlich vor dem sicheren Tod: Sie wagt es, dem deutschen SS-Offizier direkt in die Augen zu blicken und ihm mitzuteilen, dass sie hier eigentlich verkehrt sei. Das Wunder geschieht: Der Deutsche schickt die naive Person mit den unglaublich blauen Augen wieder in ihre Heimatstadt zurück.

Nicole Heesters verkörpert die bescheidene, herzliche Frau mit jedem Heben der Augenbrauen, mit jedem Seufzer, mit jeder Geste. Obwohl sie dafür nur wenig Worte zur Verfügung hat, ist ihr Spiel äußerst beredt. Der zweite Darsteller (Markus Gertken) auf der Bühne der Kammerspiele ist der Erzähler, ihr Sohn George. Gleichzeitig schlüpft er bei Bedarf in die weiteren Rollen der Erzählung. Gerade in dem liebevollen Zusammenspiel, das von kleinen Neckereien und zärtlichen Gesten geprägt ist, liegt die besondere Qualität der Inszenierung von Torsten Fischer. Sie lief im ersten Spieldurchgang so erfolgreich, dass sie noch einmal ins Programm genommen wurde. Zum Glück für alle, die dieses exquisite Theaterstück über die Lust am Erzählen, die selbst grausame Realitäten noch mit Poetik und Humor zu versehen weiß, bisher verpasst haben.

Birgit Schmalmack vom 5.11.07

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