Nathan der Weise


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Kampf der Religionen

Lessings Stück "Nathan der Weise" ist leider aktueller denn je. Immer noch ist das friedliche Zusammenleben der Religionen nicht zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Ein Blick in die Nachrichten bestätigt jeden Tag diese traurige Erkenntnis.

Der Jude Nathan trägt seinen Beinamen nicht zu Unrecht: Er ist ein lebenskluger Mann, der sich seine Toleranz und Güte trotz ständiger Diskriminierung erhalten hat. Schließlich genießt er als Jude zur Zeit der Kreuzzüge sowohl von den Christen wie von den Muslimen wenig Ansehen. Ausgerechnet seine Tochter verliebt sich in einen deutschen Tempelritter, der mit dem Schwert für seine christliche Religion Krieg führt. Sosehr sich dieser Ritter Kurt auch sträubt, auch er kann sich dem Liebreiz des Mädchens trotz ihrer Herkunft nicht verschließen. Liebe gibt den Anstoß religiöse Grenzziehungen zu überwinden. Nathan beantwortet die Frage nach der einzig wahren Religion mit der berühmten Ringparabel. Als Kurt Nathans Klugheit Anerkennung zollen möchte, nennt er ihn einen Christen. Nathans Antwort ist diplomatisch und wahrhaftig zugleich: "Was mich für euch zum Christen macht, macht euch für mich zum Juden."

In schnellen, kurzen Szenen entwickelt Regisseur und Theaterleiter Gunnar Dreßler die spannende Geschichte, die auf ein dramatisches Ende zu zu steuern scheint. Eindrucksvoll sind besonders die schauspielerischen Leistungen der beiden jüngsten Darsteller Nathalie Claus und Martin Reese mit ihrem lebendigen, mitreißenden Spiel. Dieses Stück überzeugt durch seine wunderschöne Sprache, durch seinen weitblickenden Inhalt und seine anregende Gedankenvielfalt. Dass das Drama zum Schluss ausbleibt und sich zu einem Happy-End fügt, greift Gunnar Dreßler mit einer ironisch gestellten Fotosession auf. Zu einem Gruppenbild lächeln alle wieder glücklich Vereinten grinsend in die Kamera. Der Kampf der Religionen ist ausgeblieben, nachdem sich heraus gestellt hat, dass alle der versammelten Akteure miteinander verwandt sind. So erfüllt sich Nathans kluge Parabel.

Birgit Schmalmack vom 5.11.05