Wer hat Angst vor Virginia Woolf


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Ich verletze, also bin ich

In eine unheilvolle Symbiose verstrickt, verbringen George und Martha ihre verstreichenden Lebensjahre miteinander. Ihre langjährige Ehe ist von gegenseitigen Abhängigkeiten und Verletzungen geprägt. Ihre zermürbenden Machtspiele zerstören den letzten Rest an Zuneigung, aber bringen nichtsdestotrotz Verlässlichkeit und Abenteuerkitzel in ihr tristes Leben.

So hat Regisseur Winfried Minks zwischen die einzelnen Szenen von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" in der Inszenierung im St.-Pauli-Theater die Bilder eines Computerspiels gesetzt, das einen einsamen Kämpfer zeigt, der sich durch eine zerstörte Kriegsstadt schlägt. Unter der Überschrift "Spiel und Spaß" kämpft sich das alternde Ehepaar ebenso durch ihren Lebensalltag an einem neuenglischen Kleinstadt-College.

Vor dem Spiegel eines jungen, hinzu gebetenen Pärchens (Theresa Hübchen, Marcus Bluhm), dessen männlicher Part gerade einen hoffnungsvollen Posten als Dozent ergattert hat, erinnern sich George und Martha an ihre eigenen, mittlerweile schwer enttäuschten Lebenswünsche in dieser zukunftsträchtigen Lebensphase. Unter Zuhilfenahme des Zungenlösers Alkohol versuchen sie, dieses junge Glück anzukratzen und sind erfreut, als es ihnen gelingt. Kein Wunder - schließlich verfügen sie in dieser Technik über sehr viel Erfahrung; während ihres gemeinsamen Lebens haben sie eifrig üben können.

Hannelore Hoger ist die Idealbesetzung für die Figur des zynischen, lebenserfahrenen, temperamentvollen und intelligenten Vollweibs, das mit seinen weiblichen Formen nicht geizt. Gerd Böckmann überzeugt in der Rolle des enttäuschten, ironischen, erfolglosen und redegewandten Akademikers, der seine Stellung nur seiner Frau als Rektorentochter zu verdanken hat. Von ihrem professionellen Zusammenspiel lebt die texttreue Inszenierung des 42 Jahre alten Bühnenklassikers von Edward Albee. Das Bühnenbild mit rosaner Sofalandschaft auf auberginenfarbener Flauschteppich neben dem ausladenden, gut bestückten Bartresen stellt die solide Unterlage für die zerfleischenden Wortgefechte zur Verfügung. Eine sehenswerte Aufführung, die die Abgründe der zwischenmenschlichen Verstrickungen deutlich herausarbeitet ohne sie je für billige Lacher auszunutzen.

Birgit Schmalmack vom 15.11.04