norway. today


www.hamburgtheater.de

Meinst du das jetzt ernst?

Die beiden jungen Leute Julie und August empfinden nur noch Überdruss an ihrem Leben, so dass sie ihm ein Ende bereiten wollen. Im Internet haben sie sich kennen gelernt und entschieden: Zu zweit wollen sie sich auf einem Trip in Norwegens Fjorde in den Abgrund stürzen. Mit Zelt, Kühltasche mit den letzten Dosen Bier und belegten Broten und dicken Daunenmänteln sind sie in der weißen Eiswüste angekommen und müssen sich nun gegenseitig ihrer Ernsthaftigkeit beim geplanten Vorhaben versichern. Zwangsläufig kommen sie sich dabei näher als geplant, da ein Mindestbestand an Vertrauen für ihr gemeinsames Vorhaben notwendig ist. So legen sie ungewollt Teile ihres Innersten offen, in die so noch keiner Einblick nehmen durfte. Sie haben sich soweit aufeinander zu bewegt, dass sie nicht umhin können sich einzugestehen, dass sie sich mögen. Dabei merken sie, dass sie keineswegs alles schon zur Genüge ausprobiert haben. Beim Erblicken des Polarlichtes konnten sie sogar ein Aufflackern von staunendem Glück überrascht feststellen.

Anna Blomeier und Jörg Kleemann geben den beiden Selbstmordkandidaten ein höchst unterschiedliches Gesicht: Julie ist eine scharfsinnige, spritzige, energiegeladene, entschiedene Lebensüberdrüssige, die mit großem Selbstbewusstsein die Leitung in dem Projekt "Lebensende" übernimmt. Der träumerische Einzelgänger August passt sich ihr gerne in großer Bewunderung an. Mit ihrem ironischen Spiel stellen sie hinter ihre Personen immer ein kleines Fragezeichen. Können diese Beiden ohne objektiv ersichtlichen Grund ihrem Leben ein Ende machen wollen? Sie können anscheinend den Wunsch danach entwickeln, weil sie in ihrer medial überfütterten Welt schon alles erlebt und gesehen zu haben meinen. Nichts Entdeckenswertes scheint es mehr für sie zu geben.

Doch dann kommen sie in der eisigen Fjordlandschaft dahinter, dass die virtuelle Illusion einer Wirklichkeit doch etwas anderes als die selbst erlebte Realität ist. Über dem Abhang zu hängen ist etwas anderes als diese Situation in einem Computerspiel gespielt zu haben. In ihren mit der webcam aufgezeichneten letzten Worte an ihre Familie versuchen sie ihren Tod zu inszenieren und merken, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Sätze mit dem Grad des "fakes" wächst. Überdrüssig an ihrer nur mittelbar erlebten Wirklichkeit hatten sie genug. Der Schock realer Erlebnisse und realen Glücks wird ihre sorgsam zurecht gelegte Weltsicht noch lange erschüttern. Als August vorschlägt "Lass uns gehen", sinken sie erst mal wieder völlig ermattet auf den Schnee.

Andrea Udl hat mit sicherer Hand und in ausgewogener Balance zwischen Tiefgründigkeit und Witz den Text von Igor Bauersima "norway.today" im Thalia in der Gaußstraße inszeniert. Erstaunlich wie vergnüglich Selbstmordabsichten beleuchtet werden können. Sie lässt sie die Abgründe in den Köpfen sichtbar und nachvollziehbar werden und hinterfragt sie gleichzeitig. Die beiden Darsteller gelingt es die Vorläufigkeit der entgültigen Weltsichten und daraus gefolgerten Entscheidungen ihrer beiden Figuren behutsam zu enttarnen. Zum Schluss beginnen die vorher so entschlossenen jungen Leute sie endlich in Frage zu stellen, so wie der Tonfall des Stückes es schon von Beginn an erahnen ließ.

Birgit Schmalmack vom 25.1.03