Früchte des Nichts


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Grenzüberschreitung

Das gesamte Personal des Stücks sitzt vor einer Bauwand und philosophiert. Getränke werden aus dem Kaffeeautomaten gezogen. Man hat auf weißen Monoblocks Platz genommen. Vorne sinniert man über das Zeitalter der Gefühllosigkeit. Hinten wird die schöne neue Welt sichtbar. Architekturanimationen von neuen, großstädtischen Konsumtempeln werden auf die Rückwand projiziert. Emotionen waren einmal, jetzt zählen Geld, Klamotten, Konsum und Schmuck. "Ich will Geld, viel Geld. Und man soll es an mir sehen können," fordert Adi von ihrem Freund Gert. Sein Freund Foss ist dagegen zu dem resignierenden Ergebnis gekommen, dass Gott und damit eine Moral nicht existieren. Ein Nichts ist das Leben und der Mensch ein Ungeziefer.

Bruckner schrieb 1948 sein Stück "Früchte des Nichts" für die Überwindung des Nihilismus und Resignation. Die 38-jährige Regisseurin Christiane Pohle schafft es den Text so zu kürzen und zu bearbeiten, dass der Zuschauer kaum Alterserscheinungen an ihm bemerken kann. So scheint er ganz von heutiger Desillusionierung zu sprechen. Dass dies trotz des arg beschnittenen Aktionsraumes - von der Bühne bleibt nur ein schmaler Streifen - gelingt, liegt nicht zuletzt an dem grandiosen Thalia-Ensemble. Thomas Schmauser überzeugt in seiner stimmigen Interpretation des verzweifelt Suchenden, der sich seine vorläufigen Antworten aus allen verfügbaren Richtungen holt. Bevorzugter Ratgeber ist sein intellektueller Freund Foss (Andreas Döhler), der ihn mit seinen durch Nietzsche- und Sartre-Studien geprägten Nihilismus beeindruckt. Dessen ethischer Ansatz bleibt ihm allerdings fremd. Ihn drängt es eher zur Tat. Doch auch Diskussionen mit seiner an die Liebe glaubenden Mutter (Sandra Flubacher), mit der geld- und prestigegeilen Adi (Paula Dombrowski) und der religiösen Cressi (Claudia Renner) sind ihm ein Fundus für kurzfristige Attitüden. Er lässt er sich auf einem gemeinsamen Trip nach Italien mit Foss und den beiden Frauen ein. Nachdem Gert einen völlig überflüssigen Mord verübt hat, ist eine Grenze überschritten. Die Sinnlosigkeit und das Nichts ist nicht mehr nur Gerede sondern greifbare Realität geworden.

Zur schrägen Atmosphäre tragen maßgeblich die Live-Musiker Philipp Haagen und Fritz Feger mit großer Virtuosität und Skurrilität bei. Liveaufnahmen aus dem Raum hinter der Bauwand eröffnen den Blick auf die Fiktionen des Lebens. Als die Wand kurz vor Ende umkippt, zeigt sich stattdessen die staubige Leere, das Nichts.

Pohle ist hier anregendes und intelligentes Theater gelungen, das sich nicht scheut in seiner Konzentration auf wenige ausgewählte Mittel der Darstellung volle Aufmerksamkeit zu verlangen. Durch den Verzicht auf das Dekorative lässt sie Raum für eigene Überlegungen. "Und was machen wir jetzt?" fragt Gert Foss am Ende ratlos. Pohle hütet sich diese Denkarbeit den Zuschauern abzunehmen.

Birgit Schmalmack vom 5.1.05

www.hamburgtheater.de