Krieger im Gelee


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Zur Kritik von
Berliner Zeitung

Flüchtige Moral

Winzige Krieger tänzeln in Martins (Stephan Baumecker) Schädel zwischen den Hirnwindungen herum, bis unter die Zähne bewaffnet pieksen sie ihn mit spitzen Pfeilen und flüstern dem freiwilligen Eremiten zu: "Martin, es gibt kein Gut und kein Böse. Du bist frei." Sein Leben lang hatte er seinen Alltag mit vielen Regeln versehen, um den Einflüsterern keine Einflussmöglichkeit zu geben. Doch nun, ohne Arbeit, ohne äußere Regeln kann er sie nicht mehr überhören.

Sein Opfer ist Mervin (Paul Schröder), das verwöhnte Einzelkind aus besserem Hause, der sich seinerseits gerne aus dem übermäßig behütenden und liebenden Armen seiner Eltern lösen möchte. Das Angebot des älteren Herrn, mit ihm in die Südsee zu fahren, kommt ihn gerade recht.

Claudius Lünstedt lässt in seinem Theaterstück, das im Berliner Eigenreichtheater seine Uraufführung hatte, drei Menschen ihre Sicht auf das "perfekte Verbrechen" in Einzelmonologen schildern. Regisseur Aureliusz Smigiel hat die von Täter und Opfer ineinander geschnitten. So ist die Spannung der schrittweisen Enthüllung der Tat zwar etwas abgeschwächt, aber die Verstrickungen der beiden kommen besser zu Geltung. Die Zeugin Katrin (Wicki Kalaitzi) dagegen kann ihren furiosen, körperbetonten Auftritt ganz ohne Konkurrenz hinlegen. Die selbstbewusste, energiegeladene, zupackende Frau weht in Rot herein und beansprucht volle Aufmerksamkeit. Sie spielt mit ihrem ganzen Körper. Jeder ihrer Sätze wird zu einem kleinen Tanz mit den Federn, dem Ventilator und den Videoaufzeichnungen. Die beiden Männer bleiben dagegen die Getriebenen, die Passiven und in ihrem Spiel so grau-blau wie ihre Kleidung.

Federn spielen in dem Bühnenbild die Hauptrolle. Sie vernebeln die Sicht, sie piksen in die Kopfhaut, sie belegen den Fußboden, sie setzen sich in der Kleidung fest. Leicht, zart und unscheinbar wie flüchtige Gedanken beeinflussen sie das Spiel der Menschen. Zum Schluss gibt es einen Toten, wenn auch nicht den ursprünglich erwarteten. Das letzte Bild zeigt die Drei mit dem erhobenen Finger vor dem Mund. Psst! Stillschweigen ist angesagt. Über die Krieger im Hirn spricht man besser nicht. Man ignoriert sie lieber.

Birgit Schmalmack vom 24.7.09