Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss


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Menschenmaterial für die Quote

Die Zuschauer wollten nicht die gelackte Alice strahlen sondern kotzen, heulen und zusammenbrechen sehen. Das ist die Überzeugung des Moderators Beat Emmenegger (Hans-Jörg Frey). Er tut alles für die Quote. Um diesem Ziel näher zu kommen, treibt er im Verbund mit seinem Einheizer Michael Pemperton (Stefan Haschke) die vier Paare an. Alle haben die bisherigen Strapazen überstanden und sind in die Endausscheidung des Dauertanzwettbewerbes gekommen. Eines von ihnen steht nun kurz davor eine Million zu gewinnen. Unterdrucksetzen, Blamieren, in den Kreislaufkollaps treiben, ist ebenso ein probates Mittel wie von Zeit zu Zeit Streicheln oder Trost. Keine mitmenschlichen Gefühle stören diese Aktivitäten. Stets ist nur das Ansteigen der Spannungskurve beim Zuschauer das Ziel. Die Menschen auf der Bühne sind dazu nur das Material.

Dabei bringen diese Menschen ihre ganz eigene Geschichte mit. Zwei kommen aus dem Osten (Daniela Kiefer, Rolf Bach), eine aus dem Knast (Anja Schiffel) mit einem Partner aus Italien (Tammaso Cacciapuoti), ein Paar aus Polen (Hans Schernthaner, Jessica Kosmalla)und eines aus erfolglosen Künstlerkriesen (Simon Zigah, Meike Kircher). Die Schauspieler verausgaben sich sichtbar auf die Bühne. Schade dass ihre Dialoge meist dürftig bleiben. Alle verbinden ihre eigenen Träume mit dem möglichen Gewinn. Dass gerade diese Acht so weit kamen, liegt an ihrer Verzweiflung. Andere Wege schienen ihnen verschlossen. Mit der Hoffnung auf schnelles Geld hatte man sie geködert. Jetzt zappeln sie in den Fängen der Produktionsgesellschaft und ihren Vollstreckern. Und das alles vor laufender Kamera. Und auf offener Bühne. Denn das Altonaer Bühne hat die Ehre für die Aufzeichnung der Endrunde gebucht zu sein. So dürfen die Zuschauer in Altona über das Schicksal der acht Gebeutelten mitentscheiden. Rotgrüne Karten halten sie dafür in den Händen. Auch sonst nutzt der Einheizer jede Gelegenheit, das Publikum mit einzubeziehen. Wer in den ersten Reihen sitzt, wird zum Mittanzen, zur Meinungsäußerung, zur Fütterung und zum Transparentschwenken herangezogen. Einigen scheint es Spaß zu machen. Der Übergang von Show, Realität und Fiktion ist fließend. Was wohl genau die Absicht der Regisseurin Ulrike Grote gewesen sein wird. Die Beklemmung gelingt ihr. Ein Erschrecken über die makaberen Methoden des Moderators schleicht sich ein und die Erkenntnis, dass die Überspitzung, die der Text nach dem Roman von Horace McCoy betreibt, angesichts von Modell-, Superstarshows und Dschungelkamps so groß gar nicht ist.

Birgit Schmalmack vom 10.5.08